Herz im Spiel (German Edition)
Vater war Kaufmann“, erzählte Marianne ihm. Plötzlich, ohne Einleitung, meldete sie sich zu Wort, und Mr Desmond blickte interessiert von den Wirtschaftsbüchern des Gutes, die er eben studierte, auf.
„Er besaß einen kleinen Laden in einem Vorort von London, wo er Kurzwaren verkaufte. Die teuren Waren der exklusiveren Läden in der Stadt konnte er sich nie leisten, aber er erklärte seinen Kunden immer, seine seien mindestens ebenso gut. „Dieser Lampenschirm ist sogar noch besser als der, den Sie bei Stillworthy und Grey kaufen könnten, Mrs Markham“, sagte er einmal. Und seine Kunden mochten ihn, kauften seine Waren und verziehen ihm, dass sie billig und schlecht waren.“ Marianne wandte sich vom Fenster der Bibliothek ab und lächelte Desmond, der auf der anderen Seite des Raumes hinter seinem Schreibtisch saß, zu.
Der Monat war fast vorüber. Heute hatten sie den neunundzwanzigsten Juni. Mr Desmond hatte erwähnt, dass er morgen nach London fahren musste, und am Tag darauf würde Marianne nicht mehr auf Kingsbrook sein, sondern auf dem Weg zur Akademie, vielleicht ehe Desmond zurückkehrte. Der Gedanke lastete ihnen auf der Seele, aber keiner von beiden mochte das zugeben.
Während die Tage ihnen entglitten, hatten sie schließlich, vor allem in dieser letzten Woche, viele Stunden miteinander verbracht, böse auf jede Unterbrechung, die sie trennte und dieser wenigen letzten Augenblicke beraubte.
Der Raum, in dem sie sich in unausgesprochenem Einverständnis für gewöhnlich trafen, war Mr Desmonds Bibliothek. Zum einen liebten sie beide diesen Raum, und außerdem hielt Mrs River sich lieber in ihrem Salon auf und ließ sie dort drinnen in Ruhe.
Nachdem sie aufgewacht waren, war der Himmel zwar verhangen gewesen, aber nun hatte es aufgeklart, und sie hätten draußen spazieren gehen können, aber heute hatte keiner von ihnen viel für die frische Luft und den blauen Himmel übrig. Mr Desmond blieb hinter seinem Schreibtisch sitzen und sah seine Papiere durch, und Marianne las eine Zeit lang, ehe sie im Zimmer umherging.
Jetzt stand sie am Fenster, und als Desmond sie betrachtete, war er in der Lage, gelassen ihre Vorzüge zu würdigen. Er ließ den Blick über ihre festen Brüste gleiten, die schmale Taille, die geschwungenen Hüften. Im Sonnenlicht, das ihr Kleid durchdrang, konnte er sogar die Form ihrer Schenkel erkennen und ihre Waden, die immer schmaler wurden und in zarten schlanken Fesseln ausliefen.
Trotzdem weigerte Desmond sich entschlossen, das Bild aufreizend zu finden. Marianne war wie eine feine Elfenbeinschnitzerei, von perfekter Gestalt und doch unerreichbar. Als sie sich umwandte und ihn strahlend ansah, konnte er ihr unschuldiges Lächeln reinen Gewissens erwidern.
„Haben Sie auch im Laden geholfen? Haben Sie die Kunden bedient und ihnen erzählt, die Waren seien genauso gut wie die in den exklusiveren Geschäften?“, wollte er von ihr wissen.
„Nein. Das heißt, ich habe ab und zu im Laden ausgeholfen, wenn meine Zeit und meine Mutter es erlaubten, aber ich hatte nicht die Zuversicht meines Vaters, was unsere Waren anging. Und ich fürchte, Papa hat meine Hilfe nicht immer zu schätzen gewusst, denn ich habe sehr oft einer Kundin vom Kauf abgeraten und ihr erklärt, wo sie dieselbe Sache besser oder billiger finden könne.“
„Die typisch kindliche Naivität. Oft schon ist sie das Verderben unserer Erwachsenenwelt gewesen“, meinte Desmond vorwurfsvoll.
„Sie reden daher, als wären Sie schon alt und grau“, erwiderte Marianne schnippisch.
Desmond zwinkerte ihr zu und meinte mit greisenhaft zittriger Stimme: „Ach, mein Kind, wenn Sie nur wüssten, was diese Augen schon gesehen haben.“
„Dummes Zeug. Sie sind ein wenig gereist und haben viel gelesen. Deswegen sind Sie noch lange nicht alt, Sie sind bloß ein bisschen verknöchert.“
„Sie amüsieren mich, Miss Trenton“, sagte Desmond mit genau dem richtigen herablassenden Ton, von dem er sicher war, dass er Marianne rasend machte. „Heute in zwanzig, nein in zehn Jahren, werden Sie, wenn Sie sich an dieses Gespräch erinnern, über ihren jugendlichen Leichtsinn erröten. Zumindesten können wir nur hoffen, dass die Jahre Sie bis dahin einen gewissen Grad an Reife gelehrt haben.“
„Dieselbe Reife, deren Sie sich erfreuen?“, fragte sie spöttisch.
Er nickte feierlich.
„Wenn Sie wirklich so erfahren sind, wie haben Sie dann Ihr reifes Alter erreicht, ohne je verheiratet gewesen zu
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