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Herz im Spiel (German Edition)

Herz im Spiel (German Edition)

Titel: Herz im Spiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sally Cheney
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da ihre Trennung so kurz bevorstand. Sie würde bald wieder hinter den Mauern der Farnham-Akademie eingesperrt sein, und sie mochte nicht daran denken, dass er dann allein hier auf Kingsbrook saß und sich an eine schöne Frau erinnerte, die er einst geliebt hatte.

8. KAPITEL
    Am nächsten Morgen brach Mr Desmond ziemlich früh auf. Er blieb lange genug auf Kingsbrook, um mit seinem Mündel zu frühstücken, aber als er sich von der Tafel erhob und erklärte, er müsse nun fort, lag etwas Endgültiges in seiner Stimme, das sie beide erkannten. Höchstwahrscheinlich würden sie sich vor Weihnachten nicht wiedersehen, und diese sechs Monate schienen ihnen unendlich lang.
    Nachdem er abgereist war, wanderte Marianne ziellos durch die Räume im Erdgeschoss des Gutshauses. Meist hängte sie sich an Mrs River, und häufig lief sie der Haushälterin auch vor die Füße.
    Mrs River hätte sie am liebsten an die frische Luft gesetzt, aber es war zum Verzweifeln: Zum Ende eines Monats mit beständig schönem Wetter war ausgerechnet dieser Tag kühl und regnerisch. Mr Desmond war noch keine halbe Stunde fort, da begann es zu regnen, aber es blieb den ganzen Tag über trüb.
    Marianne sah durch eines der hohen Fenster in der Empfangshalle hinaus und erbebte plötzlich unter einem Kälteschauer.
    „Kommen Sie doch vom Fenster weg, Miss Marianne“, redete Mrs River ihr zu. „James hat in der Bibliothek ein schönes warmes Feuer entfacht.“
    „In der Bibliothek wird es heute so düster sein“, sagte Marianne und wollte sich noch nicht vom Fenster abwenden.
    „Alice soll alle Lampen anzünden und Ihnen eine Tasse heiße Schokolade bringen.“
    Zu Mrs Rivers Erleichterung wandte die junge Frau sich vom Fenster ab. Wenn Miss Marianne nur in die Bibliothek gehen würde! Dort wäre es wärmer, und was noch wichtiger war, sie würde Mrs River und Alice nicht im Weg stehen.
    „Ach, na schön.“ Marianne seufzte.
    Als sie in die Bibliothek trat, war Alice bereits eifrig damit beschäftigt, mit einem Fidibus die zahlreichen Lampen zu entzünden, die im ganzen Raum verstreut standen, damit der Benutzer den von ihm ausgewählten Band auf jedem Sitzplatz, der ihm gefiel, lesen konnte.
    „Richtig schön hell ist es jetzt hier, Miss“, bemerkte Alice hoffnungsvoll. „Bestimmt gibt es an einem solchen Tag nichts Besseres als ein warmes Kaminfeuer.“
    „Ja“, pflichtete die junge Dame ihr bei, obwohl ihr Tonfall kaum an Alices fröhliche Stimme heranreichte.
    „Wäre das dann alles, Miss Marianne?“
    „Wie bitte? Ach, ja, danke“, erwiderte sie ungeduldig.
    Aber sobald sie den Raum für sich hatte, gefiel ihr die Ruhe auch nicht mehr. Sie wünschte, jemand wäre bei ihr. Oh, nicht Alice oder Mrs River. Sie wünschte …
    Gedankenverloren strich Marianne über das weiche braune Leder der Sessellehne und gestand sich ein, wen sie gern dort sitzend gesehen hätte. Vor ihrem inneren Auge tauchte sein zerzaustes Haar auf, das so gar nicht zu seiner gepflegten Erscheinung passen wollte. Und beinahe glaubte sie, seine tiefe Stimme zu hören.
    Sie sprang aus dem bequemen Sessel auf. Zu leicht fiel es ihr, sich in dem weichen, engen Sitzmöbel vorzustellen, er umarme sie. Aber falls sie vorhatte, nicht an ihn zu denken, dann hatte sie sich den falschen Raum ausgesucht. Alles in der Bibliothek erinnerte sie an ihn. Der Fußschemel vor seinem Lieblingssessel, die abgegriffenen Homer- und Vergilbände, die er aus dem Bücherregal genommen hatte, kleine Stapel von Papieren im ganzen Raum, auf jedem Tisch, auf dem Stuhlsitz mit gerader Lehne, auf dem Kaminsims.
    Sie warf einen Blick auf seinen chaotischen Schreibtisch, tat aber keinen Schritt in diese Richtung. Sie erinnerte sich nur zu gut an den Brief von Onkel Horace.
    Zerstreut nahm sie die Ilias , die auf dem niedrigen Tisch zwischen den beiden Sesseln lag. Auch sie war in feines Leder gebunden, und als sie den Buchdeckel aufschlug, nahm sie dessen schwachen, angenehmen Duft wahr.
    In dem Buch lag ein zusammengefaltetes Blatt Papier, und verblüfft erkannte Marianne ihre eigene Handschrift. Sie konnte sich nicht erinnern, ein Papier in eines von Mr Desmonds Bücher gelegt zu haben, und bestimmt nicht in einen seiner Lieblingsbände. Sie nahm das Blatt heraus und faltete es auseinander. Es war ein Brief an Nedra, den sie abzuschicken vergessen hatte.

    Darin war von dem gemeinsamen Unterricht die Rede, und typischerweise wurden ein oder zwei der Mädchen an der Akademie erwähnt und

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