Herz im Spiel
sein?“
Desmond lächelte flüchtig und blickte wieder auf seinen Schreibtisch hinunter. Naivität traf einen tatsächlich manchmal unverhofft. „Die Gelegenheit hat sich einfach niemals ergeben“, entgegnete er betont locker.
„In Ihrem ganzen langen Leben nicht? Das scheint mir kaum glaublich“, rief Marianne aus, um ihn zu reizen.
„Genauer zu sagen wäre wohl, dass zwar die Gelegenheit sich anbot, das Mädchen aber nicht.“
Mr Desmond tat sein Möglichstes, um beiläufig zu klingen, aber selbst nach zehn Jahren war das Thema immer noch schmerzlich für ihn, und es gelang ihm nicht, diese Tatsache völlig zu verbergen.
„Dann sind Sie schon einmal verliebt gewesen?“, fragte Marianne, jetzt ebenfalls ernst geworden.
„Einmal“, gestand Desmond leise. Ohne aufzublicken, sprach er in einem seltsam abwesenden Tonfall weiter. Auch ihn hatte plötzlich Wehmut erfasst. „Das war in Coventry, wo ich aufgewachsen bin. Sie war zu ihrer älteren Schwester gezogen, einer grässlichen Tyrannin. Und vor allem allgegenwärtig. Sosehr ich die junge Dame auch schätzte, ich glaube, ich war während unserer gesamten Bekanntschaft nicht einmal allein mit ihr. Vielleicht ist sie deshalb heute nicht die Herrin von Kingsbrook.“
„Darüber bin ich froh“, flüsterte Marianne.
Desmond blickte neugierig auf und sah sie an. „Darüber, dass ich niemals allein mit ihr war, oder darüber, dass wir nicht geheiratet haben?“, fragte er.
Marianne errötete. „Ich freue mich, dass ihre Schwester eine Tyrannin war. Ich hoffe, sie hat Ihnen das Leben zur Hölle gemacht.“
„Das hat sie“, erwiderte Desmond kopfschüttelnd.
„Wie hieß sie?“, fragte Marianne.
Als sie dem Gespräch diese Wendung gegeben hatte, war ihr Tonfall leicht und spielerisch gewesen. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Mr Desmond zugeben würde, schon einmal verliebt gewesen zu sein. Sie hatte es nicht hören wollen, und jetzt war sie nicht sicher, ob sie etwas von dem Mädchen wissen wollte, das ihm das Herz geraubt und es ihm dann vor die Füße geworfen hatte, verletzt und gebrochen … Trotz Mariannes Bekanntschaft mit den klassischen Werken der Literatur dachte sie immer noch in Begriffen aus den Groschenromanen ihrer Jugend.
„Der Name der Schwester? Ich erinnere mich nicht daran. Ist das nicht seltsam?“, fragte Desmond.
Marianne warf ihm einen finsteren Blick zu. Sie argwöhnte zu recht, dass er sich auf ihre Kosten amüsierte.
„Wie hieß Ihre junge Dame?“, hakte sie nach.
„Ja, natürlich, meine junge Dame. Nun, ihr Name war Miss Deborah Woodley. Kurz nach unserer Trennung nahm sie dann den Namen Chancery an.“
„Sie hat Sie wegen eines anderen verlassen?“, fragte Marianne. Zweifel schwang in ihrer Stimme.
„Ihr Erstaunen schmeichelt mir“, versetzte Desmond lächelnd und kehrte endlich wieder aus der Vergangenheit in die Gegenwart zurück. „Ja. Sie gab einem guten Freund von mir den Vorzug, und in unserer Welt makelloser Manieren und guter Kinderstube blieb mir nichts anderes übrig, alszurückzutreten und ihre Hand und ihr Herz einem anderen zu überlassen. Leider gehört unsere Spezies nicht zu denen, die für gewöhnlich auf Leben und Tod um ihre Gefährtinnen kämpfen.“
„Tut es ihnen noch leid?“, fragte Marianne. „Denken Sie noch oft an sie?“
„Ja und nein“, antwortete Desmond. „Ja, ich bedaure, dass ich sie verloren habe. Man trauert immer um eine verlorene Liebe zu jeder Zeit im Leben, ganz gleich, wie viel Glück darauf gefolgt ist. Es ist immer traurig, sich an einen Verlust zu erinnern, und ihre Abschiedsworte waren sehr schmerzlich für uns beide, denke ich. Jedenfalls möchte ich gern glauben, dass sie auch in einem gewissen Maße gelitten hat. Ziemlich gemein von mir, ich weiß. Aber man kann nicht immer jeden Rachegedanken verbannen.
Was Ihre andere Frage angeht“, fuhr er fort, „darauf heißt die Antwort nein. Ich denke nicht oft an sie. Wahrscheinlich habe ich seit Monaten nicht an sie gedacht, und nur Ihre Fragen haben mich jetzt an sie erinnert. Sonst wäre sie mir möglicherweise noch einige weitere Monate nicht in den Sinn gekommen.“
„Das tut mir leid“, meinte Marianne.
„Das braucht es nicht. Sie war ein hinreißendes Mädchen, und ich bin sicher, dass sie eine ebenso bezaubernde Ehefrau und Mutter geworden ist.“
Aber Marianne bedauerte aufrichtig, ihn an eine verflossene Liebe erinnert zu haben. Und das ausgerechnet in ihrer letzten gemeinsamen Woche,
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