Herz im Spiel
Nedra Stevens und gestand mit hochroten Wangen, dass sie und Nedra sich heimlich leidenschaftliche Liebesgedichte aus Mrs Averys Privatbibliothek stibitzt hätten. Sie hatten sich zusammen unter die Fliederbüsche gesetzt und darüber gegrübelt.
Am Ende des Monats hatte Desmond entdeckt, dass die junge Frau einen wissbegierigen Geist besaß. Sie spielte ganz passabel Klavier und konnte ihn beim Schachspiel schlagen, wenn er nicht auf die Partie achtgab – was schwierig war, wenn sie ihn über das Schachbrett hinweg mit ihren grünen Augen ansah.
Heute unterhielten sie sich im Salon. Mrs River saß schweigend bei ihnen, stopfte ein Tischtuch und genoss das angeregte Gespräch.
„Homer und Vergil. Also, dies sind merkwürdige Lieblingsautoren für einen Mann von heute. Scheint es nicht vernünftiger, moderne Ideen in modernen Sprachen zu lesen?“, wollte Marianne wissen.
„Ich glaube nicht, dass es so etwas wie ‚moderne Ideen‘ gibt, Miss Marianne. Das sind nur uralte Einsichten, die für unsere Zeit ziemlich unbeholfen neu formuliert worden sind. Gier, Ehre, Hass, Liebe, Krieg, Frieden – diese Dinge wird es immer geben, und unsere einzige Hoffnung darauf, sie zu verstehen und zu beherrschen, liegt darin, aus der Vergangenheit zu lernen.“
„Also lesen Sie Ihre Klassiker, um sich bezüglich der Probleme, vor denen unsere Gesellschaft heute steht, Rat bei ihnen zu holen?“, fragte Marianne ernsthaft.
Desmond lächelte schalkhaft. „Dies, und außerdem, weil Homer in der Ilias die Enthauptungen so farbenprächtig beschreibt.“
„Ich habe immer wieder große Freude an Johann Sebastian Bach“, erklärte Desmond ihr bei einer anderen Gelegenheit. „Seine Werke sind erhabene Studien an Form und Disziplin.“
„Aber machen diese Kriterium sie nicht zu kalten, mechanischen Etüden?“, fragte Marianne. „Herr Bach ist mir immer zu gefühllos erschienen, obwohl ich seine Kompositionen immer pflichtbewusst gespielt habe, um meine Technik zu verbessern.“
„Oh, würdigen Sie Bachs Werke bitte nicht zu Fingerübungen herab!“, rief Desmond mit tiefempfundener Leidenschaft aus.
Sie waren zu dem kleinen Steinpavillon hinter dem Herrenhaus gekommen. Ihre Spaziergänge führten sie häufig durch die Wiesen von Kingsbrook und für gewöhnlich zu diesem kleinen grauen Bauwerk. Bisher hatten sie die Laube immer umgangen. Die Erinnerung an den Tag, an dem Desmond hierhergekommen war, um ihr mitzuteilen, dass sie sein Mündel sein würde, war für beide eine zu schmerzhafte Erinnerung.
Aber heute stieg Desmond, ganz konzentriert auf seine Beweisführung, die wenigen Stufen hinauf, die in das kühle Innere führten. Marianne folgte ihm. Er drehte sich zu ihr um und lehnte sich an eine der Säulen.
„Bachs Musik ist, wie die aller großen Komponisten, ein Fenster zu seiner Seele. Seine Freude, sein Glaube, seine Verherrlichung des Geistes finden sich in seinem Werk wieder. Und wenn man es mit demselben überschäumenden Gefühl spielt, wird es groß und überwältigend und berührt unsere Seelen“, sagte Desmond. Er nahm Mariannes Hände. „Lassen Sie doch Ihre Seele davon anrühren, Marianne!“
Ernst, beinahe drängend sprach er und blickte ihr in die Augen. Sein letzter Satz war wie ein Flehen gewesen, doch Marianne war sich nicht sicher, worum genau er bat. Als ein von draußen eindringender Windstoß ihm das Haar noch mehr zerzauste, vergaß sie für den Bruchteil einer Sekunde, worüber sie diskutierten.
Inzwischen waren die drei ersten Juniwochen vergangen, und die beiden hatten nach und nach gelernt, völlig entspannt miteinander umzugehen. In der Frühe waren sie in der Lage, einandernormal einen guten Morgen zu wünschen. Oder Marianne stieß in der Bibliothek zufällig auf Peter, und oft lud er sie zum Bleiben ein, damit sie einen Abschnitt las oder ihm ein Buch reichte.
Aber dieser Moment in der Laube, als er ihre Hand hielt und sie so durchdringend ansah und sie reglos dastand, unterschied sich von ihrer unbeschwerten Kameradschaft.
Es war Desmond, der schließlich den Zauber dieses Augenblicks zerstörte. Er bewegte sich nur wenig, er wandte den Blick ab und sah hinaus auf die Wiese. Kurz darauf entzog Marianne ihm die Hand, und als sie dann gemeinsam die Laube verließen, wobei sie über die verschiedenen Vor- und Nachteile der Beilagen, die für gewöhnlich zu Roastbeef serviert werden, diskutierten, da war der Moment vorüber. Doch keiner der beiden würde ihn vergessen.
„Mein
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