Herz im Spiel
Abend sagte und tat, meinte er zutiefst aufrichtig, aber das hieß noch lange nicht, dass er nicht auf den Gedanken gekommen wäre, die Karten ein wenig zu seinen Gunsten zu mischen oder sich ein oder zwei Asse in den Ärmel zu stecken. Aber Marianne hatte recht. Zuviel stand auf dem Spiel, als dass es durch Betrug entschieden werden durfte.
Er schob die Karten über den Tisch. „Du kannst abheben und austeilen“, wies er sie an.
Viel langsamer und ungelenker als er hob Marianne die Karten ab und mischte sie neu. Tatsächlich schob sie sie so oft ineinander, dass trotz ihrer Unerfahrenheit jeder Kartentrick, den Desmond versucht hätte, unweigerlich vereitelt worden wäre.
Sie warf einen Blick auf seine Arme, die er auf die Tischplatte gelegt hatte, und gehorsam löste er seine Manschetten und krempelte sich die Ärmel hoch. Marianne war vielleicht nicht geschickt genug, um selbst zu betrügen, aber sie hatte Mr Desmonds Geschichten gehört und wusste, wie so etwas bewerkstelligt wurde.
„Wir werden eine einzige Runde mit fünf Karten spielen. Das reicht doch aus, um sein Leben darauf aufzubauen, meinst du nicht?“
„Hast du mich nicht auf genau diese Weise gewonnen?“, fragte Marianne.
Ihm gefiel die Härte ebenso wenig, die er in ihrer Stimme vernahm, wie ihr sein professioneller Tonfall behagte.
Schweigend gab sie nun die Karten – fünf für ihn und fünf für sich selbst. Dann legte sie den Rest auf den Tisch. Desmond kniff die Augen zusammen, um die Karten zu erkennen, und studierte, ohne eine Miene zu verziehen, wortlos das niederschmetternde Blatt. Herz, Pik, Karo, Bilder, Zahlenkarten – selten hatte er eine weniger aussichtsreiche Zusammenstellung gesehen. Das Schicksal hätte freundlicher mit ihm umgehen sollen. Schließlich standen hier sein Leben und sein Glück auf dem Spiel.
„Karten, Peter?“, fragte Marianne. Zweiundvierzig Chancen, zu gewinnen oder … alles zu verlieren.
„Drei“, sagte Desmond.
Er gab einen Buben und zwei Zahlenkarten ab und behielt ein As und eine Zwei. Aber schonbei der ersten neuen Karte, die Marianne ihm gab, sah er, dass er unmöglich noch einen Straight machen konnte. Die Karte, eine Zehn, zerschmetterte seine Hoffnungen. Aber die anderen Karten waren Zweien, und er fasste wieder Mut. Drei Zweien. Es existierten fünf Kombinationen, die einen solchen Dreier schlugen, und außerdem jeder höherwertige Dreier. Aber immerhin war das noch besser als ein oder zwei Paare.
„Ich nehme eine“, sagte Marianne.
Wieder setzte Desmonds Herz fast aus. Eine Karte. Er warf einen Blick in ihr Gesicht. Wo hatte sie nur gelernt, ihre Mimik so zu beherrschen? Sie war doch bloß eine Studentin.
Eine junge Dame, verbesserte er sich schnell, nicht nur um sein Gewissen wegen des Gewinns, um den er spielte, zu erleichtern, sondern einfach, weil sie nicht länger ein junges Mädchen war, sondern eine Frau. Besonders jetzt, als sie dasaß und sein Schicksal in ihren Händen hielt.
„Wir wissen, was auf dem Spiel steht, Marianne. Es hat keinen Sinn, dass wir länger zögern oder versuchen, einander zu bluffen. Ich habe drei Zweien“, sagte er und legte die Karten vor sich auf den Tisch.
Einen Moment lang studierte Marianne sein Blatt eingehend, die eigenen Karten immer noch fest an ihre Brust gepresst.
„Nun, was hast du?“, fragte Desmond ungeduldig.
Immer noch sprach sie kein Wort und sah ihn mit einem verhaltenen, rätselhaften Lächeln an, das ihn rasend machte. Sie begann, ihre Karten eine nach der anderen offen auf den Tisch zu legen. Die erste war eine Kreuzdame. Desmond wurde angst und bange. Die zweite war eine Fünf. Er war erleichtert. Die dritte war die Zwei, die ihm fehlte. Und zwar Kreuz, ebenso wie die Fünf, und, wie er jetzt mit Entsetzen bemerkte, die Dame. Ein Flush würde seinen Dreier schlagen. Fünfmal Kreuz, dann würden ihm das Mädchen und Kingsbrook, der einzige Ort, an dem er jemals Frieden gefunden hatte, entrissen.
Die vierte Karte, die sie ablegte, war die Kreuzacht.
Desmond hatte das Gefühl, um ihn herum sei die Welt zum Stillstand gekommen. Er wusste nicht, ob er überhaupt wollte, dass die Zeit weiterlief, aber die Spannung trieb ihn fast zum Wahnsinn.
Marianne nahm die letzte Karte zwischen Daumen und Zeigefinger und tippte damit aufreizend gegen ihre Wange.
16. KAPITEL
Am Tag nach Weihnachten küsste Bernie Brewster seiner Verlobten die Wange und bestieg die Postkutsche, die ihn nach London bringen würde, um jene kleine
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