Herz in Gefahr
ihre Spuren zu verwischen.”
“Doch selbst Schlangen können gefangen und unschädlich werden, meine Liebe.” Mit diesen Worten von Sebastian mussten die anderen sich zufriedengeben.
Ohne es zu wissen, hatte Elizabeth die Wahrheit erraten. Aber die Vergangenheit, die der Priester mit größter Anstrengung verborgen gehalten hatte, drohte in diesem Moment der Welt enthüllt zu werden.
Truscott war an diesem Morgen in seiner Kirche von einem schmutzigen Straßenkind angesprochen worden.
“Raus!” Er beäugte die Lumpengestalt voller Ekel. Das Kind sah wenig besser als eine Vogelscheuche aus. “Hier gibt es keine Almosen.”
“Will ja auch keine, Mister. Hab schon meine Knete gekriegt. Aber ich soll Ihn’ das hier geb’n.” Der Junge hielt ihm ein speckiges Stück Papier hin, aber sein Blick zeigte, dass er auf der Hut war. Er hielt wohlweislich Abstand, als ob er jeden Moment einen Schlag erwartete.
“Was steht darauf?”
“Weiß nich’. Ich sollt’ Sie nur hol’n gehn.”
Ein diskretes Hüsteln zog die Aufmerksamkeit des Priesters auf eine kleine Gruppe von Damen, die über das Mittelschiff auf ihn zukamen.
“Mein lieber Sir, ruhen Sie denn niemals aus?”, fragte eine der Damen zärtlich. “Wir hatten gehofft, dass Sie heute Ihren Tee mit uns einnehmen. Wir sammeln die Mittel für das Waisenhaus.”
“Gott segne Sie! Traurigerweise befindet dieser kleine Bursche sich in Schwierigkeiten.” Reverend Truscott erwog einen Moment, eine Hand auf das fettige Haar des Betteljungen zu legen, überlegte es sich aber doch anders.
“Sie ham den Zettel nich’ geles’n”, sagte das Kind anklagend.
“Mein kleiner Mann, du hast mir nicht die Zeit dazu gelassen.” Mit dem Blick der Damen auf sich war er gezwungen, das Papier zu entfalten. Zum Teufel mit dem Kind! Wenn sie allein gewesen wären, hätte er ihn entsprechend für seine Unverschämtheit belohnt.
Die Worte waren falsch buchstabiert und mit unsicherer Hand geschrieben, aber die Nachricht war nur allzu deutlich. Als ihre ganze fürchterliche Bedeutung dem Reverend bewusst wurde, verlor sein Gesicht alle Farbe. Er schwankte leicht und blieb nur aufrecht, indem er sich an dem Rücken der nächststehenden Kirchenbank festhielt.
“Schlechte Nachrichten? Mr Truscott, Sie müssen sich setzen. Lassen Sie uns Ihnen ein Glas Wasser holen.”
Er hätte die Sprechende schlagen können. Was er im Augenblick brauchte, war ein Glas starken Weinbrands. Wenn diese lächerlichen alten Hühner doch endlich gehen würden! Er hob eine Hand und bedeckte die Augen.
“Danke, aber bitte bemühen Sie sich nicht”, flüsterte er. “Es ist nur ein Augenblick der Schwäche.”
“Es ist Erschöpfung, Sir. Sie arbeiten zu viel. Dieses Kind darf Sie nicht länger behelligen.” Sie versuchte, den Jungen fortzuscheuchen. “Ihre zukünftige Braut wird Sie schelten.”
“Lassen Sie ihn! Der Herr wird mir beistehen. Ich werde das Kind begleiten. Ich fürchte, zu einem Sterbebett.”
Wenn das nur die Wahrheit wäre, dachte er grimmig. So viele seiner Probleme würden sich mit einem Schlag lösen. Mit einem tapferen Lächeln führte er die Damen zur Kirche hinaus. Dann ging er zurück in die Sakristei, um einen weiten Umhang zu holen, und zog sich einen breitkrempigen Hut tief in die Stirn.
Das Kind ließ ihn nicht einen Moment aus den Augen. Das Kind! In seinem Blick war bereits die Verschlagenheit zu sehen, eine ganz bestimmte wachsame Art von Intelligenz, die Truscott wohl kannte und die man beim Überleben auf der Straße erwarb.
Er hatte kein Mitgefühl mit dem Jungen. Der Starke überlebte, und der Schwache ging unter. Er selbst hatte Glück gehabt. Nein, das stimmte nicht. Glück hatte in seinem Fall keine Rolle gespielt. Es war eher seine Rücksichtslosigkeit, die ihm geholfen hatte, die Leiter des Erfolgs zu erklimmen.
Und sollte er jetzt alles verlieren? Die Worte der Nachricht brannten in seinem Hirn.
Mein Freund hatt deine Anzaige inner Zaitung geläsn, Charlie. Wird Zeit, deine Muter kricht was ab. Der Jung wird dich zu mir holn. Du komst besser mit sonst tuts dir noch laid
.
Es war nicht unterzeichnet, aber das war auch nicht nötig. Der Brief war echt. Nur seine Mutter hatte ihn je Charlie genannt.
“Ist es weit?”, fuhr er den Jungen an.
“Nee. Ich geh den Wech immer, ob’s regnet oder nich’.” Das Kind betrachtete ihn kritisch. “Versteck’n Sie lieber die Uhr da und die Kette. Sonst verlier’n Sie sie, könn’ Sie mir
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