Herz in Gefahr
1. KAPITEL
Elizabeth Wentworth schnappte entsetzt nach Luft. “Judith, das kann unmöglich dein Ernst sein! Willst du uns damit sagen, dass du eingewilligt hast, Truscott zu heiraten? Ich fasse es nicht!”
Ein leises Hüsteln der dritten Dame im Salon des Hauses in der Mount Street unterband für den Augenblick einen weiteren Ausbruch. Elizabeth sah ihre Schwägerin Hilfe suchend an, aber Lady Wentworth schenkte ihr keine Beachtung.
In den zwölf Jahren ihrer Ehe hatte Prudence gelernt, ihr Temperament zu zügeln. Unüberlegt gesprochene Worte konnten nie wieder zurückgenommen werden, so sehr man sie später auch bereuen mochte. Sie war bereits im vorgerückten Stadium ihrer Schwangerschaft und versuchte mühsam, aufrechter auf dem Sofa zu sitzen.
“Das ist wirklich eine große Überraschung, Judith. Wir ahnten nicht …” Ihre Stimme klang sanft, und ihr Blick ruhte voller Zuneigung auf ihrer Freundin.
Aber Elizabeth ließ sich nicht beschwichtigen und sprang erregt auf. “Warum hast du ihn erhört?”, rief sie bedrückt. “Oh Judith, er wird dich nicht glücklich machen. Der Mann ist ein entsetzlicher Scharlatan! Ich weiß, er ist zurzeit sehr in Mode wegen seiner feurigen Predigten, aber er glaubt selbst kein einziges Wort von dem, was er sagt. Trotz all seines Geredes von Höllenfeuer und Verdammnis hat er nichts Besseres zu tun, als sich mit genau jener Gesellschaft abzugeben, die er vorgibt, zu verachten.”
“Elizabeth, du gehst zu weit!”, sagte Prudence streng. “Bitte erlaube Judith wenigstens, sich zu äußern. Du könntest ihr zugestehen, dass sie ihre eigene Meinung zu dem Thema hat.”
Elizabeth sah aus, als wolle sie widersprechen, hielt jedoch den Mund und ließ sich in einen Sessel fallen.
“Prudence, schimpf nicht”, sagte Judith leise. “Ich wusste, dass es ein Schock für euch sein würde. Immerhin hat Reverend Truscott mir niemals Anlass gegeben zu glauben, er hätte mich je beachtet … das heißt, bis vor wenigen Wochen.”
Elizabeth presste die Lippen zusammen, als ein Blick von Prudence sie traf. Beide dachten dasselbe. Vor weniger als einem Monat hatte Judith von einer ansehnlichen Erbschaft erfahren, die ihr der Bruder ihrer Mutter hatte zukommen lassen. Der verschrobene alte Mann hatte die vornehme Welt damit überrascht, dass er sein beachtliches Vermögen seiner einzigen Nichte vermachte.
“Ich war selbst erstaunt”, fuhr Judith in ihrer sanften Art fort und lächelte ihre Zuhörerinnen an. “Ich bin keine Schönheit und glänze auch sonst nicht in Gesellschaft. Es fällt mir schwer, mit Leuten zu plaudern, die ich nicht kenne, und meinen Witz …” Sie verzog das Gesicht zu einer hilflosen Grimasse, als sie an ihre Mängel dachte.
“Liebste Judith, du unterschätzt dich”, rief Elizabeth voller Wärme aus. “Gib es zu! Du hast einen wunderbaren Sinn für Humor. Wie oft haben wir uns nicht gekrümmt vor Lachen, wenn du eine deiner Geschichten erzähltest!”
“Weil ich euch gut kenne und mich in eurer Gegenwart wohlfühle. Eure Familie war immer so gut zu mir … Die Dowager Countess fehlt mir entsetzlich.”
“Sie war auch sehr von dir eingenommen”, gab Elizabeth zurück. “Was hätte sie wohl gesagt, wenn sie von deiner Entscheidung erfahren hätte?”
“Sie wollte immer, dass ich heirate”, sagte Judith ruhig. “Es machte sie so glücklich, als ihre Söhne dich und Prudence zur Frau wählten. Und sie hoffte, dass ich das gleiche Glück erleben würde.”
“Das ist etwas ganz anderes!”, sagte Elizabeth fest. “Willst du mir etwa sagen, Judith, dass du ein Tendre für diesen Mann hast?”
Judith errötete. “Nicht jede Frau kann hoffen, so glücklich zu sein wie ihr und den Menschen zu finden, für den sie ihr Leben geben würde.”
“Dann warte noch!” Elizabeth konnte ihre Verzweiflung nicht verbergen. “Du bist jung. Es muss doch ein Dutzend Männer geben, die passender wären als Truscott. Nur sehr wenige können jedenfalls unpassender sein. Du musst dir eine Chance geben!”
“Ich bin fünfundzwanzig, und ich hatte mehrere Saisons. Wie viele Männer haben um mich angehalten? Nein, gib dir nicht die Mühe zu antworten. Du weißt, dass ich nie ein Erfolg war.”
“Nur weil du so still bist! Du gibst niemandem die Chance, dich kennenzulernen. Ach, wir alle lieben dich von Herzen, Judith. Einmal hatten wir gehofft, du und Dan …”
“Elizabeth, das reicht jetzt!” Bei der Erwähnung ihres Adoptivsohns hielt Prudence es für
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