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Herz ueber Bord

Herz ueber Bord

Titel: Herz ueber Bord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Diechler
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gewählt, in dem Biounterricht keine Pflicht war.
    Â»Schade«, sagte Javen Spinx. Er warf mir einen kurzen Blick zu und deutete mit dem Finger zum Fenster hinaus. »Das Meer tut in der Regel niemandem etwas. Man muss nur verstehen, mit ihm umzugehen.«
    Interessant, dachte ich. Offenbar hielt er das Meer für eine Person, ein Individuum, zu dem man sagen konnte: »Hör mal, lass es uns doch einfach so handhaben: Ich tu dir nichts, also lass mich bitte auch in Ruhe, okay?« – Na ja, im Grunde machte ich es ja bereits genauso.
    Mir war das Thema unangenehm, aber ich wollte nicht unhöflich sein, also fragte ich: Ȁhm … Haben Sie irgendwie beruflich damit zu tun?«
    Jetzt lächelte er wieder. »Beruflich? Nein.« Er schüttelte den Kopf. »… nein, so kann man das wohl nicht nennen.«
    Â»Aber Sie interessieren sich für die …«, ich suchte nach den passenden Worten, »… äh … Belange des Meeres?«
    Â»Das haben Sie hübsch gesagt.« Er stellte seine Rückenlehne aufrecht und sah mich offen an. »Ja, in der Tat, das tue ich.« Wieder zeigte er durchs Fenster auf den Kanal hinunter. »Wie viele Schiffe sehen Sie gerade?«
    Vorsichtig beugte ich mich ein wenig vor. »Zwei«, sagte ich, spürte einen leichten Druck im Kopf und richtete mich rasch wieder auf.
    Â»Tagtäglich sind es bis zu fünfhundert, die den Kanal queren «, meinte Javen Spinx. »Weil er so eng ist, kommt es immer wieder zu Kollisionen. Wrackteile liegen herum, Öl und Chemikalien fließen aus. Manche Unternehmen verklappen nebenbei ihren Abfall, obwohl es nicht erlaubt ist. Und die Fischerei wird auch nicht wirklich kontrolliert. Die festgesetzten Fangquoten sind viel zu hoch und bedrohen den Erhalt der Bestände. Das Ganze dient einzig und allein der Gewinnmaximierung. Dabei kommt ein nicht unerheblicher Teil gar nicht erst beim Verbraucher an, sondern landet auf den Großmärkten im Müll, und zwanzig Prozent der gefangenen Fische wirft man sogar direkt von den Schiffen als Kadaver ins Meer zurück, weil sie nicht auf der Speisekarte stehen.«
    Aha, dachte ich, ein Umweltaktivist. Nicht, dass ich etwas gegen diese Leute hätte. Im Gegenteil: Sie gingen mit ganzer Kraft gegen Missstände vor. Ich fand sie manchmal einfach nur ein bisschen penetrant.
    Vielleicht wäre es gut gewesen, wenn ich Mister Spinx gesagt hätte, dass ich Fisch ganz selten aß und ohnehin nur paniert mochte, aber ich hatte plötzlich keine Lust mehr, überhaupt noch etwas zu sagen, noch nicht einmal, ihn danach zu fragen, ob sein Engagement für das Meer in irgendeiner Weise mit der Durchsuchung seiner Tasche vor dem Flughafen in Stansted zu tun hatte. Und so schielte ich in angespannter Sitzhaltung durchs Fenster und lauschte dem Brummen der Flugzeugmotoren und dem Geplapper der Passagiere.
    Der Flieger hatte sich ein wenig nach vorn geneigt, das Wasser kam näher und der Wellengang war nun deutlich zu erkennen. Ich registrierte eine grünlich graue Insel mit ausgefranster Küstenlinie.
    Â»Das ist Alderney«, sagte Javen Spinx. »Dort wohnen lauter nette Leute.«
    Â»Auf Jersey und Guernsey und den anderen Inseln nicht?«, fragte ich.
    Â»Doch, doch, natürlich«, erwiderte er. »Aber die Menschen auf Alderney sind besonders weltoffen.«
    Ich überlegte, wann ich meine Großtante Grace das letzte Mal gesehen hatte. Es musste mindestens zehn Jahre her sein, eher zwölf. So richtig an sie erinnern konnte ich mich nämlich nicht. Ich wusste nur noch, dass ich sie mochte und sie dieselben nussbraunen Augen wie Mam hatte.
    Â»Wie lange werden Sie auf Guernsey bleiben?«, fragte Javen Spinx.
    Â»Ungefähr ein halbes Jahr«, sagte ich. »Vorausgesetzt, ich komme klar.«
    Â»Welche Schule werden Sie besuchen?«
    Â»Keine«, antwortete ich. »Ich werde einfach nur dort sein, meiner Tante zur Hand gehen und sehen, was sich ergibt.«
    Â»Haben Sie sich um eine Au-pair-Stelle bemüht?«
    Â»Nein«, sagte ich knapp.
    Â»Entschuldigung, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.«
    Javen Spinx sah mich an. Seine Augen hatten nun beide denselben Farbton: ein dezentes Blaugrün. Und auch seine Miene hatte sich verändert. Plötzlich wirkte er verschlossen. Ich hatte das Gefühl, dass er sich von mir zurückzog, und prompt waren der Schwindel im Bauch und zwischen den Schläfen und

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