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Herz ueber Bord

Herz ueber Bord

Titel: Herz ueber Bord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Diechler
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den Kopf zurück und schloss die Augen. Sofort überfiel mich eine bleierne Müdigkeit, für einen Atemzug spürte ich noch das sanfte Vibrieren der Räder auf der Fahrbahn, dann umfing mich eine angenehme Dunkelheit.
    Aufmerksam machte mich erst wieder das Rufen eines Mannes. Mühsam öffnete ich die Augen. Es war immer noch stockfinster um mich herum, doch anstatt eines Motorengeräuschs erklang nun das Rauschen des Meeres in meinen Ohren. Ich hörte das Klatschen nackter Fußsohlen auf nassem Sand und wie sich eine Welle an einem Felsen brach. Mein Rücken schmerzte und mein Arm war eingeklemmt. Stöhnend versuchte ich, ihn zu befreien, doch damit machte ich den Schmerz nur noch schlimmer. Zum Glück gewöhnten meine Augen sich schnell an die Dunkelheit, ich konnte nun die bizarren Umrisse zahlreicher Felsen erkennen und dahinter die Gischt, die flirrend in den schwarzen Himmel hinaufschoss.
    Eine hauchdünne Mondsichel stand über dem Horizont und plötzlich tauchte unmittelbar vor mir das Gesicht eines Jungen zwischen den Felsen auf. Seine Züge waren klar und ebenmäßig und das halblange blonde Haar fiel ihm in wirren Strähnen über die Stirn. Seine vollen, wunderschön geschwungenen Lippen waren leicht geöffnet und seine Haut schillerte silbern im schwachen Licht des Mondes.
    Mir stockte der Atem, und für einen Moment spürte ich das unbändige Verlangen, meinen Mund auf diese Lippen zu pressen, doch bereits in der nächsten Sekunde nahm mich der warnende Blick aus den tiefgrünen Augen des Jungen gefangen.
    Sei still, Elodie, ganz still.
    Ich wusste, dass ich ihm gehorchen musste, und seltsamerweise wusste ich auch, dass ich ihn kannte, doch noch ehe ich mich erinnern konnte, woher, gab es einen Ruck und ich wurde nach vorn geschleudert.
    Die Nacht löste sich in der Helligkeit des Vormittags auf. Ich saß im Taxi, vor mir Javen Spinx und daneben ein junger Mann mit schwarzen Haaren und Brille, der sich wüst fluchend über die Fahrweise eines anderen Verkehrsteilnehmers erregte.

    Diesmal saß ich am Fenster und Javen Spinx neben mir. Während er in der Bordzeitung blätterte, schaute ich auf den Ärmelkanal hinunter. Der Himmel war noch immer strahlend blau und das Licht der Sonne spiegelte sich in der sich sanft kräuselnden Wasseroberfläche.
    Â»Aus der Vogelperspektive sieht alles so sauber und intakt aus, nicht wahr?«, sagte Mister Spinx. Er faltete die Zeitung zusammen und steckte sie in das Netz an der Rückseite des Vordersitzes.
    Â»Ja«, sagte ich. »Und so unwirklich. Als ob man in einem Meer nicht ertrinken könnte.«
    Er wirkte überrascht. »Sie haben Angst vor dem Ertrinken?«
    Ich sah ihn schulterzuckend an. Trotz des kühlen Tons seiner Augen war sein Blick freundlich und warm. »Ich kann nicht schwimmen. Jedenfalls nicht richtig«, gestand ich. »Irgendwie habe ich immer Angst, dass etwas unter mir ist und mich in die Tiefe reißt.«
    Â»War das schon immer so?«
    Ich nickte. »Als kleines Kind habe ich einen Tobsuchtsanfall bekommen, wenn zu viel Schaum im Badewasser war, weil ich dann nicht bis auf den Grund gucken konnte. Später kauften mir meine Eltern ein Planschbecken für den Garten. Aber auch dort bin ich nur hineingestiegen, wenn mir das Wasser höchstens bis zu den Knöcheln reichte und der Boden keine Falten warf, weil sich darin kleine Steinchen, Playmobilsäbel oder tote Tausendfüßler versteckt haben könnten.«
    Während er mir zuhörte, hatte Javen Spinx den Blick zur Flugzeugdecke gerichtet. Sein Profil war klar und scharfkantig, das Kinn floh ein wenig in Richtung Hals und die eigentlich hohe Stirn verschwand unter einer langen Ponylocke. Um seinen Mundwinkel zuckte es. »Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, dass es den Meeresbewohnern ganz ähnlich gehen könnte?«, fragte er schließlich.
    Â»Nein«, erwiderte ich überrascht.
    Ich vermied es, über Wasser nachzudenken. Okay, mit dem Duschen und auch mit dem Baden in massenhaft Badeschaum hatte ich außer einem gelegentlichen Knöcheljucken mittlerweile keine gravierenden Probleme mehr, aber ich machte einen Riesenbogen um alle Gewässer, selbst Schwimmbäder waren mir nicht geheuer. Das Rauschen von Wasserfällen versetzte mich in Panik und Tiefseefilme konnte ich mir auch nicht ansehen. Nur deswegen hatte ich ein Fächer-Profil

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