Herzenskälte: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
ein Zweifel bestehen, auch wenn der Tod die Frau trotz allen Make-ups sichtlich gezeichnet hatte. Am Tag ihrer Verlobung wirkte sie rosig und strahlend, eine natürliche Schönheit, auf deren Gesicht jegliche Schminke überladen gewirkt hätte. Trotzdem war leicht zu erkennen, dass es sich um ein und dieselbe Frau handeln musste, allenfalls kam noch eine Schwester oder eine Doppelgängerin infrage.
Das reichte allerdings noch nicht für eine sichere Identifizierung. Erst wenn ein naher Angehöriger oder sehr guter Bekannter die Identität der Frau bestätigt hatte, würde der Ermittlungsrichter sie anerkennen.
»Bald werden wir es mit Sicherheit wissen«, warf Freya ein. »Ich habe Sascha Schröder ausfindig gemacht. Er arbeitet in einem Bankhaus in Frankfurt, und eine Streife ist auf dem Weg zu ihm. Wegen der Identifizierung habe ich darum gebeten, ihn direkt in die Klinik zu bringen. Falls er vor euch eintrifft, sagt Professor Meurers Assistent mir Bescheid.«
Jennifer hatte eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was Sascha Schröder in Kürze durchmachen würde. Er würde erfahren, dass er eine Leiche identifizieren sollte, die die Polizei für seine Frau hielt. Zuerst würde er versuchen, sie zu erreichen, dann würde er darauf beharren, dass sich die Beamten irrten. Er würde sich vorstellen, wie er auf eine Tote hinabblickte, die eine völlig Fremde für ihn war, und sich den Augenblick der Erleichterung in allen Farben ausmalen.
Es kam nur leider selten vor, dass sich die Polizei irrte. Sie baten niemanden um die Identifizierung eines Toten, wenn sie sich nicht so gut wie sicher waren. Jennifer hatte nur ein einziges Mal erlebt, dass sich eine vermutete Identität nicht bestätigt hatte, und damals hatten sie anstelle des mutmaßlichen Opfers seinen Zwillingsbruder auf dem Tisch gehabt.
Den ganzen Weg über würde der Ehemann abwechselnd versuchen, seine Frau anzurufen und den Beamten, die ihn fuhren, mehr Informationen zu entlocken. Mit jeder Minute mehr, in der Larissa für ihn unerreichbar war, würde seine Selbstsicherheit weiter zerbröckeln, bis schließlich nur noch kalte Angst übrigblieb.
Die Fahrt von Frankfurt nach Lemanshain dauerte normalerweise mindestens eine Stunde. Sascha Schröder hatte also genügend Zeit, sich alle möglichen Szenarien auszumalen. Wenn sie Pech hatten, war er bei seiner Ankunft mit den Nerven bereits so am Ende, dass sie nicht mehr aus ihm herausbekommen würden, als dass das Opfer auf dem Tisch der Rechtsmedizin tatsächlich seine Frau war.
Jennifer warf dem Staatsanwalt einen Seitenblick zu. »Wir sollten alle notwendigen Beschlüsse bereit haben, wenn er uns ihre Identität bestätigt. Vielleicht hat er die Nacht nicht zu Hause verbracht, und sie wurde dort ermordet. Außerdem können wir nicht ausschließen, dass er in den Kreis der Verdächtigen gerät.«
Oliver nickte. Er wusste, welche richterlichen Beschlüsse sie aller Voraussicht nach brauchen würden, um sich schnellstmöglich den Zugriff auf wertvolle Informationen zu sichern oder den Zutritt zu betroffenen Orten zu verschaffen. Während Jennifer durch die von Jarik Fröhlich geschossenen Fotos scrollte, hörte sie, wie Grohmann an ihrem Telefon eine ganze Reihe von Beschlüssen herunterrasselte, die eine Mitarbeiterin der Staatsanwaltschaft vorbereiten sollte.
Als er auflegte, sagte er: »Im Zweifelsfall fehlt dann nur noch meine Unterschrift.«
»Und die des Richters«, gab Jennifer zu bedenken.
»Den habe ich bereits auf dem Weg hierher vorgewarnt.«
»Sehr schön. Bis Sascha Schröder bei Meurer eintrifft, haben wir noch genügend Zeit, um uns mit der Inhaberin der Agentur und ihren Angestellten zu unterhalten.« Jennifer ging davon aus, dass die Frauen inzwischen eingetroffen waren. Sie sah Freya fragend an. »Wo hast du die beiden untergebracht?«
»Im Besucherraum.« Die Assistentin grinste, denn die Bezeichnung war ein interner Witz. Im Grunde handelte es sich um einen wenig einladenden Verhörraum, bei dem jeder Versuch gescheitert war, ihn für die Befragung von Opfern, Zeugen und Angehörigen angenehmer zu gestalten. Ungefragt lieferte Freya alle Informationen, die sie über die beiden Frauen hatte sammeln können: »Doris Kilian, einundfünfzig, wohnhaft in Bad Orb, verwitwet, zwei erwachsene Kinder. Sie hat die Agentur vor neun Jahren gegründet. Ihre Angestellte heißt Nuran Sahin, ist dreiunddreißig und arbeitet seit drei Jahren für Kilian. Frau Sahin ist verheiratet, hat vier
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