Herzgrab: Thriller (German Edition)
erhaschen würde.
Oder hatte er die Tür etwa von innen geschlossen? Unsicher spähte sie zur Badezimmertür. Im Schloss steckte kein Schlüssel. Womöglich guckte er durchs Schlüsselloch. Das wäre typisch für ihn gewesen! Roberto war zwar ein entfernter Cousin von ihr, was ihn jedoch nicht daran gehindert hatte, ihr seit ihrem zwölften Lebensjahr nachzustellen. Was für ein Spanner! Damals hatte er sie heimlich aus dem Orchideenhaus oder hinter den Zypressen an der Grundstücksgrenze stehend beobachtet, während sie sich mit einem Glas Limettensaft in der Hand neben dem Natursteinbecken in der Sonne rekelte. Oben ohne, nur mit dem Kabel des Walkmans auf ihrer gebräunten Haut. Früher wollte sie ihn damit provozieren, zuerst heiß machen, aber dann abblitzen lassen. Doch diese Zeiten waren vorbei. Heute würde sie einen Kerl wie Roberto nicht einmal eine Sekunde lang dazu ermutigen, in ihre Nähe zu kommen.
Sie schlich zur Tür und spähte durchs Schlüsselloch. Als direkt vor ihrem Auge ein Schatten vorbeihuschte, fuhr sie zurück.
Verfluchter Mistkerl! Sie schlüpfte in den Bademantel und riss die Tür auf. » Du Bastard! «
Sie verstummte. Roberto lag mit halb geöffneten Augen auf dem Bett und starrte zur Decke. Seine Hand lag auf ihrem Koffer. Spielte ihr dieser Idiot etwa einen Herzanfall vor?
» Verschwinde aus meinem Zimmer! « Sie trat gegen sein Schienbein, doch er rührte sich nicht. » Roberto? «
Seine Schläfe war blau unterlaufen.
Ihr Herzschlag beschleunigte sich. » Roberto! «
Plötzlich wurde ihre Kehle trocken. Sie beugte sich über ihn und berührte ihn an den Wangen. Dabei spürte sie, wie kalt ihre eigenen Hände waren.
» Roberto, verdammt. Sag doch was! «
Sein Mund stand offen. Die leblosen Pupillen blickten zur Zimmerdecke. Teresa griff nach seinem Handgelenk, fühlte aber nur noch einen schwachen Puls, der jeden Moment versiegen konnte. Wie war das möglich? Rasch ließ sie seinen Arm los, der schwer aufs Bett fiel.
Es dauerte einige Sekunden, bis sie begriff, in welcher Situation sie sich befand. Hastig sah sie sich im Zimmer um. Die Balkontür stand noch offen. Der Wind wehte den durchsichtigen weißen Vorhang ins Zimmer. Draußen stand niemand. Durch den Türspalt erhaschte sie einen Blick in den leeren Korridor. Für einen Augenblick hielt sie den Atem an. Nichts war zu hören. Doch irgendjemand musste hier gewesen sein.
Oder war immer noch hier!
Sie lief zur Kommode und griff zum Handy. Wie durch ein Wunder erinnerte sie sich an die internationale Notrufnummer 112. Mit zittrigen Fingern wartete sie auf eine Verbindung. Die Polizei würde einen Krankenwagen herschicken. Sollte sie in der Zwischenzeit auf den Balkon laufen und um Hilfe rufen? Niemand würde sie hören. Bis auf Roberto und sie waren alle zur Kapelle gegangen.
In diesem Moment erklangen die Glocken. Sie lief noch einmal zum Bett, um an Robertos Halsschlagader nach dem Puls zu fühlen.
Nichts mehr! Nicht einmal ein schwaches Pochen.
» Pronto? « , sagte endlich eine Stimme am anderen Ende der Telefonverbindung.
» Hier spricht Teresa Del Vecchio « , rief sie. » Ich bin in San Michele und … «
In diesem Moment sank Robertos Kopf zur Seite. Teresa wollte etwas sagen, doch ihre Stimme versagte. Sein Hemdkragen färbte sich rot. Stoff und Bettlaken nahmen das Blut auf und sogen sich voll.
» Pronto? « , wiederholte die Stimme.
Sie drehte Robertos Kopf ganz zur Seite – und schrie auf. In seinem Nacken steckte eine Nagelschere. Sie war mit solcher Wucht zwischen Schädelknochen und ersten Halswirbel ins Rückenmark getrieben worden, dass nur noch die runden Griffe aus der Haut ragten. War das ihre Schere? Wie konnte das sein? Sie starrte zu ihrem Koffer. Ihr Maniküre-Etui war … geöffnet. Die Nagelschere fehlte.
Ihre Gedanken überschlugen sich. Roberto war tot! Mittlerweile war da so viel Blut auf dem Laken! Jeder würde glauben, sie hätte ihn ermordet! Schließlich war sie als Einzige hier gewesen, und ihre Mutter hatte sie beide zuletzt gesehen. Was würde die Polizei vermuten? Dass Roberto ihr wieder an die Wäsche gehen wollte wie früher – nur dass sie sich diesmal heftiger zur Wehr gesetzt hatte?
Das alles war verrückt!
» Pronto? « , hörte sie die Stimme erneut aus dem Handy. Sie unterbrach die Verbindung.
Alle würden sie des Mordes verdächtigen.
Aber das war doch völlig unlogisch!
Trotzdem kreischte eine hysterische Stimme in ihrem Kopf. Schlüpf in deine Kleider und
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