Herzgrab: Thriller (German Edition)
Toskana, Samstag, 24. April
Ohne anzuklopfen, betrat Zenobia das Zimmer. Teresa hätte es wissen müssen! Mutter hatte ihre Privatsphäre noch nie respektiert. Warum hätte sich das in den letzten fünfzehn Jahren ändern sollen?
» Draußen warten über hundert Gäste, und du stehst hier seelenruhig herum, hörst Radio und bist noch nicht mal angezogen! « Zenobias kühler Blick sprach Bände.
Teresa konnte es kaum glauben. Nach so langer Zeit waren das die Begrüßungsworte ihrer Mutter! Keine Umarmung, kein Kuss. Aber eigentlich, gestand sie sich ein, hätte sie das auch nicht gewollt.
Sie schlang den Frotteebademantel enger und verknotete den Gürtel. » Hallo, Mama « , sagte sie, während sie ein Handtuch um ihr nasses Haar wickelte.
Zenobia reagierte nicht. Ihr bodenlanges schwarzes Kostüm raschelte, als sie durch den Raum schritt. » Ich habe dich hergebeten, um deine Brüder zu verabschieden, aber du nutzt jede Gelegenheit, um mich vor den Gästen zu blamieren. «
Matteo und Lorenzo konnten ihr gestohlen bleiben. Teresa war aus einem anderen Grund hergekommen. Nachdem der Detektiv, den Monica und sie angeheuert hatten, so kläglich versagt hatte, wollte sie nun selbst etwas über Salvatores Verschwinden erfahren. Dafür gab es keinen besseren Ort als San Michele, wo alles begonnen hatte.
Zenobias Blick fiel auf das Bett, wo Teresas offener Koffer lag. » Es war dir offensichtlich nicht möglich, früher zu kommen? «
Typisch Zenobia! Unterstellungen und spitzfindige Fragen, die eigentlich Anschuldigungen waren. Teresa hätte nie gedacht, dass sie sich mit knapp vierzig Jahren von ihrer Mutter noch wie ein Kind behandeln lassen musste. » Mama, mein Job. «
» Ach was « , unterbrach Zenobia sie. » Hier hättest du eine bessere Arbeit gefunden – oder du hättest geheiratet, dann wäre das gar nicht nötig gewesen. An Interessenten hat es nie gemangelt. «
Teresa wurde übel bei dem Gedanken. Außerdem liebte sie ihren Beruf. » Ich habe in der Klinik nicht früher freibekommen, und mein Auto fährt nicht schneller. «
Zenobia stolzierte durch den Raum, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. » Ist Monica deshalb nicht mitgekommen, weil dein Auto dann noch langsamer gefahren wäre? «
Teresa warf im Spiegel einen kurzen Blick auf ihre Mutter. » Sie wollte zu Hause in Wien bleiben. «
» Hier ist ihr Zuhause! « , zischte Zenobia.
Da täuschst du dich, Mama! Die Toskana ist schon lange nicht mehr unsere Heimat.
Äußerlich gelassen trug Teresa Lippenstift auf, doch innerlich fühlte sie sich wie ein Hochdruckkessel kurz vor der Explosion.
» Was ist das überhaupt für eine schreckliche Musik? «
Teresa versuchte, weiterhin ruhig zu bleiben. » Alles ist schrecklich, was nicht aus Italien stammt, nicht wahr? «
» Stell das ab! Ist das zu viel verlangt? «
» Mama, ich komme, sobald ich fertig bin. «
Ihre Blicke trafen sich für einen Moment. Zenobias Kiefer mahlten. Mit den silbergrauen Haaren, dem breitkrempigen Hut, den schmalen Lippen und hohen Wangenknochen sah sie trotz ihres Alters immer noch graziös und erhaben aus. Aber unter der Fassade wirkte sie kalt wie eine Statue. Sie war vor kurzem siebzig geworden, und mittlerweile hatte sich die Verbitterung tief in ihr Gesicht gegraben. Immerhin war sie die Grand Dame der Del Vecchios – und an einem Tag wie diesem erst recht.
» Roberto steht draußen und wird ein Auge auf dich haben. Lass uns nicht zu lange warten. « Zenobia zog den schwarzen Schleier übers Gesicht, machte kehrt und verschwand aus dem Raum.
Teresa warf den Lippenstift auf die Kommode, steckte sich hastig eine Zigarette an und trat auf den Balkon. Eben schritt Zenobia unter der steinernen Brüstung hindurch zur Familienkapelle, die zwischen den Weinstöcken am Rand des Grundstücks lag. Es roch nach Frühling. Die Zypressen, Olivenhaine und blühenden Rapsfelder sahen aus wie immer. Der blecherne Klang der Kirchenglocke im einige Kilometer entfernten San Michele klang vertraut, als hätten die letzten fünfzehn Jahre nicht existiert. Was für ein merkwürdiges Gefühl, nach all den Jahren wieder in der Toskana zu sein.
Teresa stiegen Tränen in die Augen. Sie drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. Dann nahm sie das Handtuch vom Kopf und schüttelte das feuchte schulterlange Haar aus. Die nach Raps duftende Brise, die von den Hügeln herunterwehte, würde es rasch trocknen lassen. Teresa würde wieder die dichten Locken bekommen, die sie normalerweise
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