Herzraub
Pohl schwieg. Erlösende Visionen an eine bessere Zukunft durcheilten ihr Gehirn, kämpften gegen das eingeprägte, verpflichtende Gebot.
„Niemand wird es erfahren, das verspreche ich. Es soll für mich ein kostbares Geheimnis bleiben. Morgen um 15 Uhr bin ich wieder hier, mit einem Umschlag.“
„Ich überleg es mir.“
Am nächsten Tag war Wibke Pohl gekommen. In einer leisen, schleichenden Art. Sie hatte in den Umschlag gelinst und die 3.000 Euro registriert.
„Danke.“ Es war nur ein Flüstern. Der Umschlag verschwand in ihrer Umhängetasche. Aus dem Anorak zog sie einen Zettel.
Brigitte Lasbeck warf einen kurzen Blick darauf. „Celia Osswald, die Schauspielerin“, las sie. Schnell steckte sie ihn ein. „Lassen Sie, ich zahle.“
Im selben Moment war die Koordinatorin schon aufgestanden. Ihren Kaffee hatte sie nicht ausgetrunken.
23
Torsten Tügel stürmte ins Büro. Eben hatte er das Giftbuch der ›Paracelsus‹-Apotheke eingesehen.
„Jetzt halt dich fest, Werner. Was glaubst du wohl, wer hat vor zwei Wochen Rattengift in der ›Paracelsus‹-Apotheke gekauft?“
Danzik setzte die Lesebrille ab. „Du wirst es mir gleich sagen.“
„Ewa Jablonski, die Polin. Die Haushaltshilfe bei Celia Osswald und Geliebte von Marco Steinmann.“
„Das ist in der Tat eine Überraschung. Und keine besonders gute. Ich dachte, wir kriegen jetzt die Lasbeck ins Netz und hätten den Fall gelöst.“
„Haben wir aber nicht. Thallium, Chef. Rattengift. Genau das Zeug, mit dem die Osswald zu Tode gekommen ist.“
„Du meinst, die Polin hat die Osswald beseitigt, um mit Steinmann deren Erbe anzutreten und sich mit ihm ein schönes Leben zu machen?“
„Aber claro doch. Steinmann und diese Tussi – da ist was oberfaul.“
„Und das rausgeschnittene Herz?“, fragte Danzik.
„Da kommen wir noch dahinter. Ich schlage vor, wir fassen erstmal hier nach. Die Transplis kommen später.“
„Die was?“
„Die Transplantierten.“
„Ach so.“ Danzik griff nach seinem Trench. „Gut. Also, auf geht’s. Wo wohnt denn diese Ewa?“
„In einem der Grindelhochhäuser.“
Über den Grindelhochhäusern hing ein gleichförmiger grauer Regenhimmel. Ein frischer Wind trieb den Kommissaren Tropfen ins Gesicht, und sie stellten die Mantelkragen hoch.
Die zwölf schmucklosen Blocks, nach dem Krieg als erste Hochhäuser Hamburgs erbaut und inzwischen denkmalgeschützt, lagen in einem großen Park, der an das schicke Villenviertel Harvestehude grenzte. Keine schlechte aber doch eine sehr spezielle Adresse. In den kleinen Wohnungen der bis zu 15-geschossigen Häuser, die von einer Wohnungsbaugesellschaft verwaltet wurden, lebten sozial Schwache, aber auch prominente Künstler und Menschen, die – gut oder weniger gut gestellt – in diesen Hochhäusern alt geworden waren.
Die Kommissare gingen an zwei schwarzen Roll-Containern vorbei, aus denen stinkender Müll quoll, der zum Teil schon auf den Weg gefallen war. Bei dem Eingang Nummer 3 A suchte Tügel die Namensschilder ab und stieß schließlich auf ein handgekritzeltes ›E. Jablonski‹. Er drückte auf die Taste, aber es tat sich nichts.
„Das Nest scheint leer zu sein.“
„Macht nichts.“ Danzik wandte sich zu einer älteren grauhaarigen Frau im grauen Lama-Mantel, die in diesem Moment keuchend ihre Einkaufstasche an der Haustür abstellte. „Polizei.“ Danzik zeigte seinen Dienstausweis. „Sie wohnen in diesem Haus?“
Die Frau sah noch eine Weile auf den Ausweis, dann sagte sie „ja“.
„Kennen Sie eine Frau Jablonski?“ Danzik schickte einen Blick zu seinem Kollegen, der sagen sollte: Bei diesen Hochhäusern, wer kennt da schon seine Nachbarn … Doch wider Erwarten sagte die Graue: „Ja, kenne ich. Wohnt über mir.“
„Wissen Sie, wo sie ist?“
„Wieso, hat sie was angestellt?“
„Könnte sie?“
„Nö, ist ’ne nette Person. Trägt mir immer die schweren Taschen hoch.“
„Also, wo ist sie jetzt?“, fragte Tügel.
„Ich nehme an, bei ihrem Freund. Steinmann heißt der. Da ist sie meistens. Hier lässt sie sich kaum noch blicken. Vor allem, seit wir dieses Problem hier haben …“
Die Kommissare sahen sie fragend an.
„Na, Sie haben doch eben selbst Ihre Nasen gekraust. Ja, es stinkt hier zum Himmel. Alle sind stinksauer.“ Sie wies zu den Containern des Nebenhauses hinüber. „Die sind nur provisorisch. Feste Container dürfen nämlich nicht aufgestellt werden. Weil, das ist ein öffentlicher Park hier.
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