Herzraub
Dienstausweise.
„Kommen’s herein.“ Die Dame, ein puppiger hochblondierter Typ von Ende vierzig, stöckelte auf Goldsandaletten an einer Essecke vorbei und führte die Beamten treppabwärts in einen textilreichen, mit warmen Hölzern eingerichteten Souterrain-Wohnraum. Der Blick ging auf die Terrasse und den Garten, wo im kahlen Geäst ein paar Vögel hockten. Im Sommer musste der kleine, lauschige Platz eine Idylle sein.
„Darf ich Ihnen etwas anbieten, einen Kaffee vielleicht?“
„Nein, danke“, sagte Tügel.
„Ja, gern“, sagte Danzik.
Traudel Kanitz lächelte ein verständnisvolles Lächeln und ging in die Küche hinauf.
Zeit genug für die Kommissare, sich ein wenig umzuschauen. Die reichlich bestickten Kissen und Überwürfe – offenbar ein Hobby der Hausherrin – interessierten dabei weniger als eine tischhohe Glaskonsole. Auf ihr war ein postkartengroßes Foto mit schräg verlaufendem Trauerband platziert. Es zeigte ein hübsches blondes Mädchen mit Mittelscheitel, fröhlich und breit lachend, sodass sich die feine Nase krauste.
„Ihre Tochter?“, fragte Danzik, als Traudel Kanitz die Kaffeekanne vor ihnen abstellte.
Frau Kanitz’ Gesicht durchlief ein unmerkliches Zucken. „Ja, meine verstorbene Tochter“, sagte sie leise. Sie straffte sich. „Aber warum sind Sie eigentlich hier?“
Tügel beugte sich vor. „Wir haben einen anonymen Anruf erhalten, und darin wurden Sie und Ihr Mann als Mörder von Celia Osswald bezeichnet.“
Frau Kanitz starrte abwechselnd die beiden Kommissare an. „Wir und Mörder? Also, das ist doch wirklich – aber ich kann mir schon denken, wer so was verbreitet. Wir haben hier eine ganz arge Nachbarin, in 10b, die macht uns schlecht, wo sie nur kann.“
„Aber warum denn?“, fragte Danzik.
„Weil unsere Tanne denen angeblich zuviel Licht wegnimmt. Deshalb.“ Frau Kanitz löffelte weiter Zucker in die Zwiebelmuster-Tasse. „So, so, wir sollen also Mörder sein. Und warum bitte?“
„Weil Frau Osswald das Herz bekommen hat, das angeblich Ihrer Tochter zugestanden hat!“ Danzik ließ die Kanitz nicht aus dem Blick.
„Was ja auch stimmt. Diese Osswald kam doch nur so schnell dran, weil sie prominent ist. Wissen Sie was, Herr Kommissar“ – ihre Stimme kippte ins Schrille um – „w i r sind keine Mörder. Der Mörder ist dieser Professor Korte. Der hat unsere Tochter elend sterben lassen.“
In dem Moment hörte man einen Schlüssel im Schloss, und wenig später kam ein bebrillter Mann mit abwärts gezogenen Mundwinkeln die Stufen herab.
„Guten Abend.“ Misslaunig und fragend sah er in die Runde. Traudel Kanitz drehte sich zu ihrem Mann und sprudelte hervor, was los war.
Er setzte sich und ließ sich von seiner Frau einen Kaffee einschenken. „Absurd.“ Gerhard Kanitz schüttelte nur den Kopf.
„Dabei hätte sie gerettet werden können.“ Frau Kanitz zog ein Taschentuch aus ihrem engen Rock und presste es vors Gesicht. „Aber dieser Korte hat sie warten lassen. Monate über Monate. Können Sie sich überhaupt vorstellen, wie so ein Mensch leidet?“
„Warum brauchte Ihre Tochter eigentlich ein neues Herz?“, fragte Tügel.
„Angeborene Herzinsuffizienz“, erwiderte Herr Kanitz und starrte weiter in seinen Kaffee.
„Und dadurch wurde sie im Lauf der Zeit schwächer und schwächer.“ Traudel Kanitz nahm das Taschentuch herunter und blickte den Kommissaren voll ins Gesicht. „Können Sie sich das vorstellen? Sie keuchte, rang nach dem letzten bisschen Luft, konnte nicht mal mehr das Fenster allein öffnen. Dann der Schleim, die schrecklichen Hustenanfälle. Zuletzt konnte sie keine Kanne mehr halten, hat nur noch kurze Sätze rausgestoßen.“ Frau Kanitz’ Augen hatten sich erneut mit Tränen gefüllt. „Sie hielt sich ständig die Hand aufs Herz, während wir ihr den kalten Schweiß abgewischt haben. Diese Angst in ihren Augen, das lässt sich niemals mehr aus dem Gedächtnis löschen. Nie mehr. Wir mussten schließlich einen Rollstuhl besorgen …“
„Traudel, jetzt beruhige dich.“ Herr Kanitz legte seiner Frau die Hand auf den Unterarm.
„Und dann kam sie sicher ins Krankenhaus?“, fragte Danzik. Er öffnete instinktiv einen Kragenknopf und rief sich fast gewaltsam in Erinnerung, weshalb sie eigentlich hergekommen waren.
„Ja.“ Frau Kanitz knüllte an ihrem Taschentuch herum. „Man hat sie ans Sauerstoff-Gerät angeschlossen. Sie hat ja bis dahin nur noch 60 Prozent Sauerstoff aufnehmen
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