Herzraub
schüttete den Automaten-Kaffee vom Pappbecher in seine weiß-grüne Porzellantasse. Nachdenklich blickte er auf die Liste mit den Namen der Spender-Angehörigen.
„Einige haben gar kein Auto“, sagte er zu seinem Kollegen.
Torsten Tügel verdrehte affektiert die Augen. „Isch abbe gar kein Auto.“
„Wie bitte?“
„Das ist aus einem Werbespot.“
„Ach, ja, dieser unrasierte Italiener.“
„Aber wenn sie kein Auto haben, sagt das noch nichts. Sie können sich ja eins geliehen haben“, meinte Tügel.
Möglich, dachte Danzik. Leute ohne Führerschein waren selten. Höchstens Frauen aus der älteren Generation. Ein Mann muss einen Führerschein haben. Vielleicht sollte er seinen Opel verkaufen und einen Audi anschaffen. Am besten ein Audi Cabriolet, das würde Laura gefallen. So ein Quatsch, schalt er sich, das konnte er doch gar nicht bezahlen …
„Chef?“
„Ja, natürlich. Der Täter kann sich eins geliehen haben.“
„Oder die Täterin. Schuhgröße 38 spricht eher für Damen.“
„Eine Frau, die einen Renault 19 fährt, Schuhgröße 38, die Jeans oder eine Jeansjacke getragen hat. Also jünger.“ Danzik fuhr mit dem Stift die Liste entlang.
„Aber Jeans tragen heute auch 70-Jährige. Das Blöde ist nur, dass nirgendwo ein Renault 19 auftaucht.“
„Trotzdem können wir den Kreis weiter eingrenzen. Wenn wir nur die Frauen nehmen, deren Kinder Multi-Organentnahmen hatten, bei denen also auch das Herz entfernt wurde, und die außerdem einen Führerschein haben, dann bleiben nur zwei übrig: die 60-jährige Ursula Meyer und die 47-jährige Brigitte Lasbeck.“
Tügel haute auf den Tisch. „Und die Meyer fährt seit 34 Jahren nicht mehr Auto. Das hab ich schriftlich.“
„Na, also.“ Danzik klappte mit Schwung die Akte zu. „Brigitte Lasbeck, die Leiterin der NZO-Gruppe. Dann schaun wir uns die Dame doch mal an.“
Die weiße Elbvilla lag in einem parkähnlichen Garten mit Rhododendren-Büschen, den Eingangsbereich vor der Haustür überwölbten vier kannelierte Säulen. Brigitte Lasbeck sah erstaunt auf die Dienstausweise.
„Polizei? Für mich? Sind Sie sicher, dass Sie hier an der richtigen Adresse sind?“
„Das sind wir.“ Werner Danzik trat vor, knapp nachdem die Hausherrin mit einem „Bitte!“ den Weg gewiesen hatte.
Sie wurden in einen englisch möblierten Salon geführt, von dessen Erker ein Panorama-Blick auf die Elbe ging. Gerade zog ein dekorativer Dampfer flussaufwärts.
Brigitte Lasbeck, in einem Kaschmir-Ensemble mit Perlenkette, ließ sich auf einem großblumigen Schabrackensofa nieder und zeigte stumm auf die beiden Sessel der Garnitur.
„Einen Tee?“
„Ja, danke“, sagte Danzik. Tügel nickte, obwohl er Tee nicht mochte. Die weiß beschürzte ältere Haushälterin stand schon in der Tür.
„Tee, Luise“, sagte die Lasbeck mit einer Selbstverständlichkeit, die in Jahren gewachsen sein musste. In Celia Osswalds Haushalt agierte auch eine weiß Beschürzte, dachte Danzik. Die kurvige Polin. Jünger, ausländisch und deshalb billiger. Hier aber glänzte Geld aus allen Möbelporen. Mahagoni, Brokat und Perserteppiche.
„Worum geht es?“ Brigitte Lasbeck drehte unablässig an ihrem Goldring. Ganz schön nervös, konstatierte Danzik.
„Um einen Mordfall. Um den Mord an der Schauspielerin Celia Osswald.“
„Und?“
Tügel fixierte sie. „Sie haben es sicher in der Zeitung gelesen, was passiert ist. Celia Osswald war ein fremdes Herz transplantiert worden. Dieses Herz wurde der Toten rausgeschnitten.“
„Ja, hab ich gelesen. Und was hat das mit mir zu tun?“
„Mehr als Sie denken“, sagte Danzik. „Wir ermitteln in allen Fällen, in denen Familien das Herz ihrer Kinder zur Organspende freigegeben haben.“
Die Haushälterin stellte das Tablett mit dem Teegeschirr ab.
„Danke, das mache ich selbst“, sagte Brigitte Lasbeck. Sie schenkte den Tee ein, konnte ein unmerkliches Zittern ihrer Hände aber nicht vermeiden.
„Ah, ja, und da kommen Sie auf mich, weil ich meinen Sohn – weil mein Sohn – “
„Weil Sie ihn zur Explantation freigegeben haben“, ballerte Tügel los.
„Was Sie bereut haben“, schleuderte ihr Danzik entgegen.
Brigitte Lasbeck warf ihren Kopf zwischen den Kommissaren hin und her. Vom Hals her breitete sich Röte über ihre Haut.
„Und was beweist das?“
„Nichts“, sagte Tügel. „Außer, dass Sie ein Motiv haben. Wir sind über Ihre Aktivitäten bei der NZO-Gruppe informiert.“
„Wo waren Sie
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