Herzraub
am 14. Und 15. Oktober?“, fragte Danzik.
Die Lasbeck lachte hysterisch auf. „Wie soll ich das jetzt – “
„Denken Sie nach.“
„Zu Hause – ja, zu Hause.“
„Na, super.“ Tügel stellte laut seine Tasse ab.
Danzik schaute auf ihre Füße, die in cremefarbenen Sechs-Zentimeter-Pumps steckten. Größe 38, mit Sicherheit. „Dürfen wir mal Ihre Garage besichtigen?“
„Bitte.“ Brigitte Lasbeck hatte sich soweit gefestigt, dass ihr Ton vom Hektischen ins Schnippische umschlug. Sie ging im Wiegegang voran, öffnete die Haustür und bog zu der links angrenzenden Garage ein. Sie betätigte den Commander, worauf sich automatisch das Tor hob.
Drinnen gab es zwei Parkplätze. Der eine war leer, von dem anderen funkelte den Kommissaren ein alabasterweißer Mercedes der S-Klasse entgegen. Nun, sie hatten nichts anderes erwartet. Trotzdem fragte Danzik: „Haben Sie am 14. oder 15. Oktober einen Re-nault 19 benutzt?“
„Natürlich nicht. Das ist kein Wagen, den ich fahren würde.“
„Vielleicht denken Sie über diese Antwort noch mal nach“, sagte Tügel.
„Das brauche ich nicht.“
„Sie halten sich zu unserer Verfügung“, sagte Danzik. Von der Garage gingen die Kommissare über den Kiesweg zu dem goldbewehrten, eisernen Eingangstor.
Brigitte Lasbeck schritt mit erhobenem Kopf ins Haus zurück, bevor sie sich bebend in einen Sessel fallen ließ.
Sie goss sich einen Cognac ein, spürte, wie die Wärme ihren Körper durchflutete, spürte, wie sie endlich ruhig wurde. Was konnte schon passieren? Die Polizei hatte keine Beweise. Und sie war geschickt. War es die ganze Zeit gewesen, hatte jeden Zug ihres Vorgehens sorgfältig vorbereitet.
Brigitte Lasbeck musste unwillkürlich lächeln. Allein diese Transplantationskoordinatorin weich zu klopfen – Wibke Pohl hieß sie – war eine psychologische Meisterleistung gewesen. Tatsächlich hatte sie über die Pohl die Identität der Person rausbekommen, für die man ihrem Holger den Körper aufgeschnitten und das Herz entrissen hatte.
Meistens war es ja umgekehrt. Nicht der Spenderangehörige suchte den Empfänger, sondern der tief dankbare oder in seiner Persönlichkeit so plötzlich verstörte und verunsicherte Empfänger suchte die Spenderfamilie. Die Transplantierten studierten Todesanzeigen, forschten in alten Zeitungen nach Unfällen, verglichen Daten, tummelten sich in Einwohnermeldeämtern, und irgendwann wurden sie dann fündig und überfielen mit ihrer Dankbarkeit die Spenderfamilien. So konnte man es jedenfalls in amerikanischen ›Schicksalsgeschichten‹ lesen.
Brigitte Lasbeck nahm noch einen Schluck, ließ ihn fast genüsslich durch die Kehle rinnen. Ja, sie konnten einem Leid tun, wie sie nach der Transplantation schlagartig in Verwirrung stürzten: Ein Mann mit dem Herzen einer Frau? Oh je, jetzt werde ich ein weibischer Waschlappen. Ein männliches Herz in mir? In der Tat, ich spüre einen Jagdinstinkt, möchte die Männer am liebsten reihenweise flachlegen. Oder: Werde ich etwa schwul? Was werden meine Eltern sagen? Oder: Habe ich vielleicht das Herz eines Schwarzen bekommen? Kein Wunder, dass ich immer so herablassend behandelt werde, diese Neonazis neulich, ich glaube, die wollten auf mich losgehen …
Harmlos waren diese Varianten: Warum trinke ich als Weinliebhaber jetzt immer Bier? Wie proletenhaft! Aus italienischem Essen habe ich mir früher nie was gemacht, aber jetzt … War mein Spender Italiener? Oder: Ich gehe neuerdings in die Kirche, ich fürchte, ich werde religiös … Ich bin schockiert über mich: Ständig gebrauche ich Fäkalausdrücke – mein Spender muss aus der Gosse kommen. Oder ein Herztransplantierter verliebte sich in einen anderen Herztransplantierten. Plötzlich mussten nicht nur zwei, sondern vier fremde Wesen miteinander auskommen.
Brigitte Lasbeck dachte flüchtig an all die Theorien, die es zur Verpflanzung gab: Zellgedächtnis. In jeder Zelle des Spenderorgans schlummere seine gesamte Erfahrung und Individualität. Energieübertragung: Die spezifische feinstoffliche Energie des Spenderorgans lebe im Empfänger fort. Und so weiter, und so weiter. Es endete bei Telepathie und ›ortsungebundenen Geistern.‹ Damit versuchten manche Empfänger etwas zu rechtfertigen. Aber für Mord gab es keine Rechtfertigung.
Dann die andere Gruppe: die Vernünftig-Rationalen. Sie waren ihr genauso suspekt. Der Körper als Reparaturbetrieb. Motto: Ich brauchte einfach eine neue Pumpe, und jetzt geht’s
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