Des Rajahs Diamant
Erstes Kapitel
Frau von Vandeleurs Privatsekretär
Harry Hartley hatte bis zu seinem sechzehnten Lebensjahre die Ausbildung eines Gentlemans genossen. Da er aber eine ganz entschiedene Abneigung gegen das Studium bekundete und seine schwache Mutter ihm in allem seinen Willen ließ, so hinderte ihn, als er die berühmte Erziehungsanstalt zu Eaton verlassen hatte, nichts daran, seine Zeit einzig der Vervollkommnung in rein äußerlichen, zum feinen Ton gehörigen Künsten und Fertigkeiten zu widmen. Zwei Jahre später starb seine Mutter und ließ ihn fast als Bettler und einen zu jeder praktischen Tätigkeit ungeeigneten Menschen zurück.
Von der gütigen Mutter Natur mit dem denkbar bestechendsten Äußern ausgestattet, mußte er mit seinem blonden Haar und seinem zarten Teint, mit den Taubenaugen und dem gewinnenden Lächeln jedem gefallen, und dieser gewinnenden äußeren Erscheinung in Verbindung mit einem glücklichen Zufall hatte er es auch zu verdanken, daß er bald die Stellung als Privatsekretär bei dem Generalmajor Sir Thomas Vandeleur erhielt, einem polternden, eingebildeten und anmaßenden Manne von sechzig Jahren.Aus irgendeinem Grunde und für einen Dienst, über dessen Natur gewisse Gerüchte im Umlauf blieben, hatte der Rajah von Kaschgar diesem Offizier den sechstgrößten von den bekannten Diamanten der Welt zum Geschenk gemacht. Dadurch wurde General Vandeleur aus einem armen ein reicher Mann, aus einem unbekannten und unbeliebten Soldaten ein Löwe der Londoner Gesellschaft; denn der Besitzer des Diamanten des Rajahs war in den feinsten Kreisen willkommen. Auch zeigte sich eine junge, schöne und vornehme Dame geneigt, selbst um den Preis einer Heirat mit Sir Thomas Vandeleur in den Besitz des Diamanten zu gelangen. Man konnte damals öfters die Äußerung hören, gleich und gleich geselle sich gern, so habe ein Diamant den andern angezogen; jedenfalls war Frau Vandeleur nicht nur für ihre Person ein Edelstein vom reinsten Wasser, sondern sie zeigte sich der Welt auch in einer äußerst kostbaren Fassung und galt bei vielen Sachverständigen als eine der drei oder vier ersten Herrscherinnen im Reiche der Mode.
Harrys Pflichten als Sekretär waren nicht sonderlich drückend, aber er hatte eine Abneigung gegen fortgesetztes Arbeiten, es war ihm unangenehm, seine Finger mit Tinte zu beflecken, und die Reize der gnädigen Frau und ihrer Toiletten zogen ihn oft aus dem Arbeitszimmer in den Damensalon. Hier war er der liebenswürdigste Gesellschafter und unterhielt sich über Modesachen mit ebensoviel Eifer wie Verständnis, denn er fühlte sich am wohlsten, wenn er seine Ansicht über die passendste Bandfarbe zumbesten geben oder einen Auftrag bei der Putzmacherin besorgen konnte. Kurz, Sir Thomas' Korrespondenz kam immer mehr in Rückstand, und die gnädige Frau verfügte über eine Kammerfrau mehr.
Schließlich sprang eines schönen Tages der General, der nichts weniger als übermäßig geduldig war, in einem Wutanfalle von seinem Sitze empor und eröffnete mit einer unzweideutigen Fußbewegung, wie sie unter Gentlemen selten vorkommt, seinem Sekretär, daß er seiner Dienste ferner nicht bedürfe. Da die Tür unglücklicherweise offenstand, so flog Herr Hartley kopfüber die Treppe hinunter.
Mit einigen Beulen am Kopf und mit schwerem Kummer im Herzen raffte er sich auf. Das Leben im Hause des Generals hatte ihm gerade gepaßt; er bewegte sich dort, wenn auch mehr oder minder auf zweifelhaftem Fuße, in der besten Gesellschaft, er arbeitete wenig, speiste aufs beste und erfreute sich einer lauwarmen Behandlung seitens der gnädigen Frau, der er in seinem Herzen einen weit anspruchsvolleren Namen beilegte.
Unmittelbar nach der unsanften Berührung mit dem Soldatenstiefel schlich Harry in den Damensalon und machte seinem bekümmerten Herzen Luft.
»Sie wissen ja, mein lieber Harry,« erwiderte Frau von Vandeleur, die ihn wie ein Kind oder einen Dienstboten bei seinem Vornamen nannte, »daß Sie niemals tun, was der General Sie tun heißt. Ich tue es ebensowenig, werden Sie vielleicht sagen. Aber das ist etwas anderes. Eine Frau kann ein ganzes Jahr voll Ungehorsam durch ein einziges Nachgebenzur rechten Zeit wieder gutmachen, und überdies ist niemand mit seinem Privatsekretär verheiratet. Mir wird es sehr leid sein, Sie zu verlieren; da Sie aber in einem Hause, wo man Sie so schmählich behandelt hat, nicht länger bleiben können, so wünsche ich Ihnen fernerhin alles Gute und verspreche
Weitere Kostenlose Bücher