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Herzstoss

Herzstoss

Titel: Herzstoss Kostenlos Bücher Online Lesen
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Füße, ohne das besorgte Tuscheln diverser Passanten zu hören, die stehen geblieben waren, um ihr aufzuhelfen. Sie rannte quer über die Straße und vergaß dabei, dass Fahrzeuge in Irland, anders als in Kanada, auf der linken Seite fuhren, sodass sie beinahe mit einem Motorroller zusammengestoßen wäre. Der Fahrer rief ihr einen derben Fluch hinterher, der laut auf der Straße widerhallte und die Aufmerksamkeit aller Umstehenden erregte, einschließlich Devon, die den Kopf in Richtung der wütenden Beschimpfung wendete.
    Nur dass es nicht Devon war.
    Marcy erkannte sofort, dass es nicht dieselbe junge Frau war, der sie gefolgt war. Dieses Mädchen war knapp zehn Zentimeter größer als Devon, die sich immer beklagt hatte, dass sie mit 1,61 Meter zu klein für die aktuelle Mode war. »Warum musste ich auch deine Beine kriegen und nicht Judiths?«, hatte sie Marcy wütend gefragt, als ob die einen Einfluss darauf gehabt hätte.
    Marcy hatte Mitgefühl gezeigt. »Ich hab mir auch immer gewünscht, ich hätte die Beine meiner Schwester«, mühte sie sich, die Sache zu entschärfen.
    »Marcy!«, hörte sie von Ferne eine leise Stimme rufen. Aber ihr Name klang in ihren eigenen Ohren fremd, ja, beinahe bedeutungslos. »Marcy Taggart«, hörte sie erneut, und der Name dehnte sich aus wie ein Schwamm, nahm Gewicht und Körper an, ohne vertrauter zu werden. Plötzlich war jemand an ihrer Seite und berührte ihren Arm. »Marcy, geht es Ihnen gut?«
    Das Gesicht eines Mannes tauchte in ihrem Blickfeld auf. Er war tief gebräunt und hatte dunkles, an den Schläfen graues Haar. Es war ein nettes Gesicht, dachte Marcy, ein Gesicht, das durch ein Paar strahlend blauer Augen vor der Gewöhnlichkeit bewahrt wurde. Warum waren ihr diese Augen nicht schon vorher aufgefallen?
    »Ich bin’s, Vic Sorvino«, sagte der Mann und ließ seine Hand über ihrem Arm schweben, als hätte er Angst, dass sie jeden Moment wieder davonstürzen könnte.
    »Ich weiß, wer Sie sind«, sagte Marcy ungeduldig. »Ich bin nicht verrückt.«
    »Tut mir leid. Ich wollte nicht andeuten …«
    »Ich hab auch nicht plötzlich das Gedächtnis verloren.«
    »Tut mir leid«, sagte er noch einmal. »Ich habe mir nur Sorgen um Sie gemacht.«
    »Wieso?«
    »Nun, so wie Sie losgerannt sind …« Er hielt inne und blickte die Straße auf und ab, als würde er jemanden suchen. »Wie es aussieht, haben Sie sie nicht gefunden.«
    »Wovon reden Sie?«
    »Das Mädchen, dem Sie nachgelaufen sind. Devon haben Sie sie, glaube ich, genannt.«
    »Haben Sie sie gesehen?«, wollte Marcy wissen. »Ist sie zurückgekommen?« Warum war sie nicht darauf gekommen, wieder zu dem Pub zurückzugehen, anstatt ziellos durch enge Gassen zu irren?
    »Nein. Ich habe niemanden gesehen«, sagte Vic. »Ich weiß nur, dass Sie neben mir gesessen, an ihrem Tee genippt und telefoniert haben – und dann von einer Sekunde zur nächsten auf die Straße gerannt sind und ›Devon‹ gerufen haben.«
    »Das heißt, Sie sind mir gefolgt?«
    »Ich habe es versucht. Nach der Brücke habe ich Sie allerdings aus den Augen verloren.«
    »Warum?«
    »Warum ich Sie verloren habe?«
    »Nein, warum sind Sie mir gefolgt?«, fragte Marcy.
    »Um ehrlich zu sein, weiß ich es selbst nicht genau. Vermutlich habe ich mir Sorgen gemacht. Sie sahen aus, als hätten Sie ein Gespenst gesehen.«
    Marcy starrte ihn an. War es das? War das Mädchen, das sie gesehen hatte, nur eine Erscheinung, ein Produkt ihrer verzweifelten Fantasie, wie es Judith offensichtlich vermutet hatte?
    Schließlich wäre es nicht das erste Mal, dass sie Gespenstern nachjagte.
    Wie oft hatte sie in den vergangenen zwanzig Monaten Fremde auf der Straße aufgehalten, überzeugt, dass jedes Mädchen, das Devon auch nur flüchtig ähnlich sah, ihre verlorene Tochter war? Und jedes Mal war sie so sicher gewesen, dass die junge Frau, die in der Supermarktschlange wartete, das Mädchen, das ihren Freund an einer Straßenecke umarmte, die Frau, die mit ihren Freunden auf der Terrasse eines Restaurants lachte, ihr Kind war.
    Und jedes Mal hatte sie sich geirrt.
    War es auch diesmal so? Ergab es irgendeinen Sinn, dass ihre Tochter womöglich hier war?
    So weit hergeholt war die Vorstellung nicht, versicherte Marcy sich eilig. Wie oft hatte Devon ihrem Vater gelauscht, wenn der sich über Irland verbreitet hatte? Das schönste Land der Erde, hatte er wiederholt erklärt und versprochen, mit ihr dorthin zu reisen, sobald es sein voller Terminplan erlaubte.

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