Herztod: Thriller (German Edition)
sollte nach Aufzeichnungen suchen«, begann sie langsam und mühsam zu sprechen, während sie stoßweise atmete und nach jedem Wort eine Pause einlegte. Ihr Gesicht war angeschwollen. Sie hatte Mühe, korrekt zu formulieren, aber sie hätte durchaus deutlicherund schneller sprechen können, wenn sie unbedingt gewollt hätte. Was sie zum Zögern veranlasste, war nicht nur der innige Wunsch, die beiden Männer vom Schlagen abzuhalten und die Distanz zu ihnen zu wahren, sondern ein Geräusch, das sie bereits zum zweiten Mal vernahm, seit sich die Tür geöffnet hatte und die Silhouetten der beiden Männer aufgetaucht waren. Beim ersten Mal hatte sie den leisen Schrei des Käuzchens nur registriert – ein fernes, hohes Geräusch, das sie an ihre Kindheit erinnerte, an die endlos scheinenden und heißen Sommer beim Großvater; beim zweiten Mal klang der Schrei etwas lauter und langgezogener. Als wäre der Kauz näher gekommen. Sie zwinkerte. Ihr Atem beschleunigte sich. Ihr Herz machte einen kleinen Hüpfer.
»Nun?« Igor war stehengeblieben, ging nun in die Hocke und starrte sie an. »Red schon!«
»Unterlagen«, flüsterte sie. »Sie suchen nach auffälligen Unterlagen, alle möglichen Akten.«
»Das sagtest du bereits. Wie viel Schmerzen willst du noch ertragen?« Igor erhob sich wieder und trat nach ihr. Sein Fuß stieß an ihren Oberschenkel, und Irina stöhnte auf. Der Kauz schrie zum dritten Mal. Irgendwo tief in ihrer Kehle löste sich ein Krampf. Tränen, dachte sie fast erstaunt. Ich muss weinen. Wann habe ich das letzte Mal geweint? »Gib mir etwas zu trinken«, krächzte sie. »Bitte. Mein Hals ist wie ausgedörrt.«
»Na schön.« Igor drehte sich zu Mischka um. »Bring ein Glas Wasser.«
Mischka warf die Zigarette auf den Boden, zertrat sie und wandte sich wortlos um. Seine Schritte verhallten im Flur, irgendwo krachte eine Tür ins Schloss. Der Kauz wiederholte seinen Schrei. Irina hustete und würgte laut, als sie über sich Schritte hörte. Leise Schritte von vielen Stiefeln. Igor drehte sich stirnrunzelnd um. Als Mischka mit dem Wasser zurückkam, nahm Igor es an sich. »Geh mal gucken, ob oben alles ruhig ist.«
»Natürlich ist da alles ruhig. Wieso …«
»Geh und vergewissere dich.«
Mischka drehte sich um und verschwand. Igor sah ihm einen Moment hinterher, dann trat er wieder zu ihr, hockte sich vor sie und reichte ihr das Glas – ein schmuddliges Wasserglas mit dunklen Rändern. Irinas rechte Hand zitterte, als sie es ergriff. Sie trank einen Schluck. Und plötzlich ging alles sehr schnell. Schritte, ein Türkrachen, Mischkas Schrei. Igor sprang auf, im nächsten Moment zerschlug Irina das Wasserglas auf dem Boden. Es wurde still und kühl in ihr, als Igor herumfuhr und eine Waffe zog. Zu spät, dachte sie.
23
Daniel Gruber saß still und zusammengekrümmt auf seinem Stuhl. Sein Gesicht wirkte hager. Er drehte unablässig seine Tasse zwischen den Händen. Würziger Teegeruch durchströmte plötzlich den Raum. Schaubert hatte neben Hannah Platz genommen, zu ihren Füßen lag Kotti und schlief friedlich. Einen Moment lang waren nur Grubers gleichmäßig tiefes Atmen zu hören und das leise Schnaufen des Hundes.
»Ich bin froh, dass es vorbei ist«, sagte er plötzlich und blickte kurz hoch. »Ich dachte, solange tatsächlich niemand auf die Idee kommt, mich in Betracht zu ziehen … Aber dann sind Sie ja doch aufmerksam geworden, und es wurde immer enger.« Er verzog den Mund und stellte die Tasse ab. »Mir war klar, dass es irgendwann keinen Ausweg mehr geben würde.«
»Hat Caroline Ihnen tatsächlich Geld geliehen?«, hob Hannah an.
»Nein, hat sie nicht.« Er schüttelte den Kopf. »Caroline war ein Miststück, geizig, eiskalt und berechnend in jeder Hinsicht. Sie hat ihren Großvater um den Finger gewickelt, der eine seltsame Schwäche für sie hatte, ihre Schwester verachtet, die Eltern waren ihr egal, und über mich hat sie sich lustig gemacht,aber zugleich war sie scharf auf mich.« Wieder Kopfschütteln. »Warum auch immer … Vielleicht nur um ihrer Schwester einen Stich zu verpassen. Das wäre eine Erklärung. Die hat das nämlich genau gespürt, und Caroline hat sich die Hände gerieben.« Er blickte kurz in die Ferne. Niemand unterbrach sein Schweigen.
»Ich habe geahnt, dass sie in unsaubere Geschäfte verwickelt war, bei denen es um viel Geld ging«, fuhr er schließlich fort. »Die schicke Wohnung, ihr Lebensstil, so manche Andeutung, dazu diese Geheimniskrämerei,
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