Hesse-ABC
allmäh-
lich eine Distanz bekommen, die ich nicht hoch genug einschätzen
kann, und zu der ich keinen anderen Weg gewußt hätte. Ob dann
nebenbei das Gemalte selbst noch irgendeinen Wert hat oder
nicht, kommt kaum in Betracht. In der Kunst spielt ja die Zeit, um-
gekehrt wie in der Industrie, gar keine Rolle, es gibt da keine ver-
lorene Zeit, wenn nur am Ende das Mögliche an Intensität und
Vollkommenheit erreicht wird. Als Dichter wäre ich ohne das Ma-
len nicht so weit gekommen.«
Immerhin gibt es viele, die sich an Hesses farbintensiven Aquarel-
len erfreuen. Auch Romain ↑ Rolland sch reibt Hesse, er sei entzückt von seinen Aquarellen: »Sie sind köstlich wie Früchte und
lachen wie Blumen. Sie erfreuen das Herz.« Es ist im allgemeinen
kein Kompliment, wenn man einem Maler sagt, seine Bilder wirk-
ten erbaulich. Aber hier ist es anders: Hesse will mit seinen Bil-
dern nicht mehr als sich und andere erfreuen und anregen. In
seinem »Kurzgefaßten Lebenslauf« von 1925 spricht er es aus:
»Nicht daß ich mich für einen Maler hielte oder einer werden woll-
te. Aber das Malen ist wunderschön, es macht einen froher und
duldsamer. Man hat nachher nicht wie beim Schreiben schwarze
Finger, sondern rote und blaue.«
Günter Kunert über das Aquarell »Blick auf das Seetal« nachden-
kend, meint, mit Hesses Bildern sei es wohl ähnlich wie mit Goe-
thes Zeichnungen. Man würde über sie nicht sprechen, wenn sie
von einem namenlosen Laien stammten. Kunert sieht in dem
Aquarell eine »angstfreie Heiterkeit«. Es ist ein »Fluchtbild«, das
ihn an Ernst Blochs Wort von der ↑ Heimat e rinnert, als etwas, das
»allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war«.
Malen hat mit der Musik gemeinsam, daß es eine gesteigerte At-
mosphäre erzeugt. Es ist »reinste, bestgespannte Stimmung«, also
erfüllte Lebenszeit. In der Kindlichkeit des Malens steckt das Mo-
ment, das Kunst am Leben hält: der Traum von der Verwandlung.
Und es ist nicht nur die Anstrengung des Hervorbringens, sondern
im Hervorbringen selbst liegt bereits aller Genuß. Neben der
»Sommersonne und dem gelegentlichen erotischen Interesse für
Frauen« sei es vor allem das Malen, was ihn dennoch immer wie-
der zum Leben verführe.
In dem kleinen Text »Aquarell« (1926) beschreibt Hesse das lieb-
gewordene Ritual so eines Maltages. Und er sagt, was ihm das
Malen sei: intensivstes Zuschauen. Wie er als Junge die Angeltage
genoß, so jetzt die Maltage: »Aber der Mensch ändert sich wenig,
und irgendeine Freude, irgendein Spiel will er haben, und so habe
ich heute statt des Angelns das Aquarellmalen, und wenn die Wet-
terzeichen einen schönen, guten Maltag versprechen, dann spüre
ich im altgewordenen Herzen wieder einen fernen, kleinen Nach-
klang jener Knaben-Ferienwonne, jener Bereitschaft und Unter-
nehmerlust, und alles in allem sind das dann meine guten Tage,
deren ich in jedem Sommer eine Anzahl erwarte.« So auch wird
aus dem Zuschauer ein Mittuender, ein Mitspielender: »Für diese
Abendstunde, für diese kurze, glühende Malstunde am Hang über
unserem Dorf bin ich dem Leben der anderen kein Beobachter und
Zuschauer mehr, beneide es nicht, beurteile es nicht, weiß nichts
von ihm, sondern bin in mein Tun verbissen und in mein Spiel
verliebt genauso hungrig, genauso kindlich, genauso tapfer wie
die anderen in das ihre.« Der Kunstmarkt ignorierte Hesses Bilder
lange. Die Preise lagen niedrig. Inzwischen hat sich das geändert.
Die Preise explodieren, der berühmte Name fordert seinen Tribut.
So greift der Starkult auch nach denen, die sich ihm am beharr-
lichsten zu entziehen versuchten.
Araukarie
Harry Haller, der Steppenwolf, kann sich gar nicht losreißen vom
Bild der Topfpflanze: eine Araukarie. Sie weckt ein Gefühl von
Heimat und fester Ordnung in ihm, das er zerbrechen mußte, um
er selbst zu werden. Aber die Erinnerung daran ist ihm teuer. So
weht ihn gelegentlich eine sentimentale Sehnsucht an, nach der
Zeit, als alles an seinem Platz und darum einfach war und vorge-
funden und nicht erst durch eine Prüfung hindurchgehen, nicht
seinen Wert erst erweisen und schließlich dem Drang zur Unab-
hängigkeit doch weichen mußte. Harrys Wehmut beim Anblick der
Araukarie verstärkt nur sein Gefühl von Fremdheit, das Wissen um
sein aus aller bürgerlichen Ordnung Herausgefallensein: »Zuwei-
len, wenn ich mich unbeobachtet weiß, benütze ich diese Stätte
als
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