Hexen: Vier historische Romane (German Edition)
dreinschauen, Vagu, hörst du? Schließlich sollst du draußen mal den Sturm- und Meeres-Dämonen das Fürchten lehren.’
Ich feile an seinem Auge, und nach einiger Zeit ist mir, als fühle ich Vagus feuchtwarmen Atem an meinem Unterarm - immer kräftiger, ich spüre, wie er einatmet und aus seinen vorgewölbten Lippen wieder auspustet - mit tiefen, kräftigen Zügen ein und wieder aus. Und draußen heulen die Sturmalben, schicken mir auch kurze Windstöße durch die Ritzen der Fensterläden, wodurch die Lampen leicht schaukeln und tanzende Schatten werfen. Die Fischwesen bewegen sich, werden immer lebendiger, bis ich verstehe, was sie raunen: ‚Bändigt euch, ihr Wogen, Thalon kommt gezogen.’
Ja, Thalon, Herr der Wogen, ein passender Name für dieses Schiff, so sollten wir es taufen. Die Gestalten raunen weiterhin magische Meeresformeln, und ich schnitze ihnen die entsprechenden Runen auf Brust und Bauch.
Jetzt wird Gepolter am Eingangstor laut. Dadurch erlischt mein Schaffensfeuer, die Figuren erstarren, und ich blicke durch die Halle vor zum Tor. Das öffnet sich knarrend einen Spalt, und mit einem scharfen Windzug stapft ein dick in Pelze gekleideter Mann herein. Ein Handwerker? Ich sehe ihm zu, wie er seine langen Schneeschuhe abschnürt. Dann nimmt er die Fellmütze vom Kopf, und erst jetzt, an seinem gepflegten, honigblonden Haar, erkenne ich ihn: „Isolf!“
Im Nu bin ich runter vom Gerüst und laufe zu ihm, während er mir, soweit sein steif gefrorenes Gesicht das zulässt, entgegenlacht.
Dann liegen wir uns in den Armen. „Schönheit, meine Schönheit“, flüstert er, „Ich konnte es nicht mehr ertragen ohne dich“, und mir hüpft das Herz wie ein närrischer Kater in der Brust herum.
Nach mehreren freudigen Küssen gehen wir, jeder den Arm um den anderen gelegt, zum anderen Ende der Halle, um es uns in der Pausenecke gemütlich zu machen.
W ie lange wir, uns liebend, hier verbracht haben, kann ich nicht sagen, jedenfalls sind die Feuer in den Öfen mittlerweile fast abgebrannt.
„Wenn ich jetzt nichts aufs Feuer lege, Isolf, geht es aus.“
„Dann tu es, ich helfe dir dabei. Aber anschließend muss ich zurück in den Palast, es wird bald Mitternacht.“
Die Öfen haben wir rasch bestückt, und auf unserem anschließenden Weg zum Ausgang kommen wir an meiner Schnitzarbeit vorbei. Isolf bleibt unvermittelt stehen, um an dem Werk hochzublicken.
„Das sind ja deine Elementarwesen“, staunt er, „bei Thor, sind die großartig geworden.“ Er tritt ein paar Schritte zurück und betrachtet sich die Gestalten genauer. „Gewaltig“, höre ich ihn andächtig sagen, „gewaltig. Man möchte meinen, die Götter hätten dir Modell gestanden.“
Ich stoße ihn mit dem Ellbogen an: „Isolf, Götter sind gestaltlos. Aber danke, der Vergleich schmeichelt trotzdem.“
Nun sieht er mich zärtlich, unwiderstehlich zärtlich an, wobei er mir sagt, was meine letzten Zweifel an der Aufrichtigkeit seiner Liebe erlischt: „Suava, du darfst deinen Beruf nicht zurückstellen, da wäre der Himmel vor. Und wolltest du mich noch heiraten, meine Schönheit, würde ich bei der Fürstin erwirken, dass du weiterhin zur Werft gehen darfst, wann immer du wolltest. Ich würde ihr dieses Zugeständnis abringen, du könntest dich darauf verlassen.“
Oh, Isolfs unter die Haut gehende Worte.
N och in der gleichen Nacht, die nun drei Monde zurückliegt, habe ich Isolf dann doch mein Jawort gegeben.
Ebenso wie er hat sich tags drauf auch die Fürstin darüber gefreut, und dann hat es keine Woche gedauert, bis Isolf sie überzeugt hat, dass ich als seine Gattin weiterhin meinem Beruf nachgehen müsse. Doch, hat die Fürstin am Ende zugestimmt, auf meine Arbeiten wolle auch sie künftig nicht verzichten. Kurz drauf hat sie öffentlich unsere Verlobung vollzogen und bekannt gegeben, unsere Hochzeit werde einen Tag nach Pfingest gefeiert - das ist heute in vier Wochen.
Ich sitze in einer kleinen, felsigen Strandbucht, in der Freizeit mein Lieblingsaufenthalt, und beobachte, wie die Wellen in der Abendsonne träge ans Ufer schwappen, als seien sie von ihrer Tagesarbeit ermüdet und genössen nun den Abendfrieden. Ab und zu schweift mein Blick auch zum Hafen, wo zwischen den Segel-, Fischer- und Ruderbooten seit gestern die zwei Riesenmaste Thalons, unseres neuen Schiffs, hochragen. In achtzehn Tagen tritt es seine Jungfernfahrt an, denn dann wird Alf mit ihm nach Gotland segeln.
Plötzlich stört vom Strandweg her ein Hufschlag die
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