Hexen: Vier historische Romane (German Edition)
auf Suava . . , auf Suava . . .“
Ich konzentriere mich. Indessen entwickelt sich ein hauchblauer Punkt vor meinen Augen, und während ich mich weiter konzentriere, dehnt sich der Punkt aus, wird zur Wolke, die mich schließlich einhüllt und fort trägt.
Für eine zeitlose Weile gleite ich dahin, in immer fernere Vergangenheit. Plötzlich ist der Flug beendet, die Wolke löst sich auf, und statt ihr fühle ich ein mir alt vertrautes Fluidum um mich her.
Ich bin in Skandinavien, in meinem damaligen, nein, in Suavas derzeitigem Heimatdorf - oder ist es eine Stadt?
Wie im Traum schwebe ich in meinem Nifelkörper durch die hiesigen Gassen mit ihren vielen größeren und kleineren Blockhäusern. Nun gleite ich über den Meereshafen, über die Fischerhütten am Strand, und anschließend landeinwärts über die erstaunlich fruchtbaren Felder und Auen, bis hin zu den Bergen. Und während meines Fliegens gewahre ich alles und jeden, keiner jedoch sieht mich.
Dort, vor dem Eingang einer Felsgrotte, entdecke ich jetzt eine in Wolfsfelle gehüllte und beißend nach Schwefel riechende Menschenkreatur. Sie kommt mir bekannt vor - wer ist das? Ich umfliege und betrachte sie von allen Seiten, erkenne sie aber nicht wieder. Oder? Doch, das ist der widerwärtige Schwarzmagier Grogin, ein Schauer schüttelt mich, ich erkenne die heutige Chrodegilde in ihm. Der Schreck darüber treibt mich weg von diesem Ort.
Während ich nun erneut die Gassen des stadtartigen Küstendorfs und dann auch das Residenzgebäude durchschwebe, ziehen bald vier weitere, mir eng vertraute Menschen meine Aufmerksamkeit auf sich: Siglind ist in ihrer hiesigen Verkörperung, ich staune, die betagte Stammesfürstin, Chlodwig ist ihr jüngster Mitarbeiter, der smarte Isolf, Gudrun der segelbegeisterte Alf, und Hilibrand ist Frodi, Suavas Lieblingsbruder.
Wo aber bin ich, Suava? Jetzt fühle ich es, dort in der Schiffswerft. Ich fliege hin und gleite durch das aufstehende Tor in die aus baumdicken Wänden bestehende Werkshalle.
Harz-, Holzduft und eifriges Gewerke, verbunden mit entsprechendem Lärm empfängt mich hier drin. Bestimmt dreißig Handwerker, einige auf hohen Gerüsten, sägen, schleifen oder hobeln an Schiffsplanken, dass der gelbe Holzstaub auffliegt, andere sehe ich hämmern, streichen oder leimen, und wieder andere ratschen mit Messern aufgespannte Segelteile zurecht. Über eine Hobelbank gebeugt arbeitet mit kräftig ausholendem Arm der Werftbesitzer, Suavas Vater. Jetzt tritt einer seiner Söhne durch das Eingangstor, es ist der stattliche Frodi - Hilibrand. Und nicht weit vom Eingang sitzt an der Drechselbank eine kükenblonde Jungfer, die mit ihrem frechen Haarschnitt und dem groben Arbeitsanzug von den Männern kaum zu unterscheiden ist. Ich schärfe meine Sinne - es ist Suava, mein früheres Ich.
Suava, eine Jungfer.
Ich brauche etwas, um mich an diese Tatsache zu gewöhnen. Doch bald fallen mir Gesten an ihr auf, die mich sonderbar berühren, immer wieder streicht sie sich ärgerlich die gleiche, in die Stirn fallende Haarsträhne zurück, dazwischen geht ab und zu ihre Hand nervös in den Nacken, und jetzt knabbert sie gar an ihrer Unterlippe - meine noch heutigen Gesten. Staunend beobachte ich, mit welcher Fertigkeit sie die Hölzer drechselt, ja, sie kann was. Ich weiß, dass jeder, selbst die Fürstin, ihre Drechsel- und mehr noch ihre Schnitzarbeiten bewundern, was sie voller Stolz genießt. - A pfui, mein früherer Eigenstolz!
Nun schweifen Suavas Gedanken ab. Sich zurücklehnend verschränkt sie die Hände im Nacken und träumt sich fort. Wohin? Sieh an, zu dem smarten Isolf, dem heutigen Chlodwig, in den sie sich vor kurzem verliebt hat. Ich bekomme den Vorspann der Geschichte vor Augen:
Vor zwei Jahren suchte wieder Alf, ein junger, in der Residenz ausgebildeter Mann, die Werft auf, um sich ein neues Segelboot zu erwerben. Alf, dem ich alleine wegen seines rotlockigem Haupt- und Barthaars deutlich die heutige Gudrun ansehe, wohnte zwar ein gutes Stück landeinwärts, kam aber oft und gerne zum Segeln an die Küste. Nun, Suava riet ihm zu dem schnittigsten Boot, das sie anzubieten hatte und führte es ihm sogleich auf dem Meer vor. Dabei bewies sie Alf all ihre Segelkünste. Als sie jedoch für einen Moment die Gewalt über das stramme Tau verlor, entfuhr es ihr ärgerlich: „Warum auch haben die Götter aus mir ein Weib machen müssen!“
Darüber empörte sich Alf: „Was willst du, Suava, geschickter als dich habe ich noch keinen
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