Hexengift
1
Mit quietschenden Reifen kam der Bentley auf der vereisten Zufahrt vor der düsteren Ziegelfassade des Blackwing Institute zum Stehen. Marla sprang zur Beifahrertür hinaus, der eisige Wind erfasste sofort den weiß-violetten Umhang auf ihren Schultern und zerrte daran. Mit einem Dolch in der Hand, dessen schmale Klinge bläuliche Funken sprühte und von der Energie des Lähmungszaubers, mit dem sie ihn belegt hatte, nur so knisterte, rannte sie auf den Eingang zu. Mit der anderen Hand umklammerte sie fest fünf farbige Kieselsteine, jeder davon in der Lage, einen der fünf Sinne eines Menschen außer Gefecht zu setzen. Sogar taub, blind, bewegungsunfähig und nicht mehr imstande, etwas zu riechen, zu schmecken oder auch nur zu ertasten, war Elsie Jarrow immer noch eine tödliche Bedrohung, doch mit ihren magischen Waffen hatte Marla zumindest eine Chance.
Auf der Türschwelle blieb sie plötzlich stehen. Solange sie keine Hand frei hatte, bekam sie die schwere, über und über mit Bändigungs- und Fesselungssymbolen bedeckte Holztür
nicht auf, und den Lähmungsdolch in ihrer Rechten konnte sie sich schlecht zwischen die Zähne klemmen. Glücklicherweise tauchte gerade in diesem Moment Rondeau neben ihr auf. Er hatte sein Butterflymesser gezogen, das in einem Kampf mit Elsie Jarrow zwar ungefähr so viel nützen würde wie ein nasses Badehandtuch, aber zumindest ließ es seine feste Entschlossenheit erkennen, Marla zur Seite zu stehen. Rondeau verfügte durchaus über eine magische Waffe - er konnte fluchen, die Götter lästern in einer Sprache, die noch älter war als das sagenhafte Babylon. Diese Flüche verfügten sogar über eine beeindruckende Zerstörungskraft, doch war ihre Wirkung ebenso unvorhersehbar, und Elsie Jarrow ernährte sich von Chaos. Deshalb hatte Marla ihm gesagt, er solle gefälligst die Klappe halten. Rondeau zog mit seiner freien Hand die Tür auf, und sie spurtete hinein …
… um im Foyer beinahe Dr. Leda Husch über den Haufen zu rennen. Ledas hübsches, klassisch geschnittenes Gesicht war mit Ruß verschmiert, und sie hielt eine Hand auf ihre Schulter gepresst, die anscheinend verletzt war. Aber sie stand in einem Stück vor ihnen - war kein Haufen blutleerer, über den Boden verteilter Fleischfetzen, wie Marla befürchtet hatte.
»Wir haben Jarrow unter Kontrolle«, sagte Husch.
Marla kniff die Augen zusammen und suchte nach irgendwelchen verräterischen Anzeichen in Ledas Gesicht. Husch war seit langer Zeit Direktorin des Instituts, schon seit seiner Gründung, aber das bedeutete nicht, dass sie immun gegen die Kräfte ihrer Patienten war. Doch ihre Augen waren klar, in ihrem Gesicht war nicht das kleinste Zucken zu erkennen, was bedeutete, dass sie wahrscheinlich nicht unter der Kontrolle eines Dritten stand.
»Alles in Ordnung«, sagte Husch. »Ohne Federn sind beide nichts wert.«
Marla entspannte sich sichtlich. Sie nahm ihren Umhang ab und hängte ihn sich über die Schulter. Zumindest brauchte sie den jetzt nicht mehr.
»Bitte wer ist ohne Federn nichts wert?«, fragte Rondeau und ließ sein Butterflymesser zuklappen.
»Das ist eine Antwort auf das Rätsel: ›Was haben ein Rabe und ein Schreibtisch gemeinsam?‹ in Alice im Wunderland«, sagte Marla.
»Es ist unser vereinbartes Zeichen, dass alles in Ordnung ist«, erklärte Husch, »damit Marla weiß, dass wirklich ich es bin, dass niemand mich zwingt oder mich in einen Zombie-Sklaven verwandelt hat. Jarrow ist in der Hochsicherheitszelle unter dem Heizungsraum. Da unten dürfte sie sicher verwahrt sein, aber ich hätte nichts dagegen, wenn du alles noch einmal kontrollierst, bevor du wieder gehst.«
Marla steckte die Betäubungssteine in ihre Tasche, dann warf sie einen Blick auf den immer noch knisternden Dolch in ihrer Hand. Kurz entschlossen rammte sie die Klinge in einen Wachsapfel, der in einer Schale mit anderem Wachsobst auf einem Beistelltisch lag. Der Zauber ließ sich nicht so einfach auflösen, man musste ihn verbrauchen , und wen kümmerte es schon, wenn ein Wachsapfel für den Rest seines Lebens gelähmt war? Eigentlich war es sogar eine Verbesserung: Nichts und niemand würde diesen Apfel mehr zum Schmelzen bringen. »Okay, wie habt ihr Jarrow aufgehalten? Als du angerufen hast, sagtest du, sie sei aus ihrem Zimmer ausgebrochen, hätte zwei Normale entleibt und wäre jetzt auf dem Weg nach draußen. Wir sind mit ungefähr
neunzig Meilen die Stunde über die vereisten Landstraßen hierhergerast, und
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