Hexenkatze - Roman
höflicher und überraschend intelligenter Junge war. Und mich wunderte es nach einem kurzen Gespräch mit ihm auch nicht mehr, dass Micki für ihn schwärmte. Er hatte trotz seiner sechzehn Jahre einen erstaunlichen Charme, der ihn wegen seiner sichtlich bekämpften Unsicherheit nur noch attraktiver machte. Er war groß, schlaksig, hatte lockige blonde Haare und den himmelblauesten Blick, den ich je an einem lebendigen Menschen gesehen hatte. Und dieser himmelblaue Blick strahlte mich mit so ergebener Bewunderung an, dass ich Angst um Micki bekam. Aber diese Mustertochter zeigte keinen Ansatz von Eifersucht, sondern schien unerklärlicherweise stolz auf mich zu sein.
Also, so ganz schlecht war der Tag nun auch wieder nicht.
Nach zwanzig Minuten zogen die beiden ab, und ich machte mich fertig, um die Unterlagen abzuliefern und mir die Bedingungen für den neuen Auftrag anzuhören. Zu diesem Zwecke verkleidete ich mich als Geschäftsfrau. Sportliche Eleganz, dachte ich, als ich mich in meinem Wandspiegel musterte. Meine schulterlangen Haare, die ich gewöhnlich offen trage, richtete ich zu einem tiefen Nackenknotenher, zartrosa Lippenstift, Wimperntusche, ein Hauch Puder auf die Nase, dann die Aktenmappe, und fertig war Business-Woman McMillen.
Bei Schmitt & Mahler lief alles problemlos, wir arbeiten seit Jahren zusammen. Nach zwei Stunden hatten wir alles soweit durchgesprochen, und ich verließ mit einem umfangreichen Ordner das Bürogebäude. Es war allerdings inzwischen fast sieben Uhr geworden, und ich beschloss spontan, noch einmal im Studio vorbeizuschauen, um mein Problemchen mit Sonja zu lösen. Ich schiebe Unannehmlichkeiten nicht gerne auf die lange Bank.
Abends war im Tempel des Sportes deutlich mehr los. Ich musste zwei Seitenstraßen entfernt parken und ärgerte mich über die eleganten Schuhe an meinen Füßen. Als ich in den Vorraum trat, sah mich Jeany genau so an, wie sie Neuankömmlinge immer mustert. Mit höflich fragendem Blick.
»Na, Jeany?«
»Oh, duuuu bist es. Was liegt an? Willst du das Studio kaufen?«
»Doofnuss!« Die Sprache meiner Tochter färbt manchmal auf mich ab. »Ich suche Sonja, sie müsste doch heute Abend Kurs haben. Ist sie schon da?«
»Hinten, an der Theke im Geräteraum.«
»Danke.«
Ich ging durch den Gang zur Eisenwaren-Abteilung und ignorierte geflissentlich die irritierten Blicke, die mich streiften.Sonja saß in pinkfarbenen kurzen Hosen und passendem Bustier auf einem der hohen Hocker und zeigte der muskulösen Männerwelt ihre mageren Rippen. Sie hat einen Hang zur Nahrungsverweigerung. Neben ihr stand Rüdiger, ebenfalls in kurzen Höschen. Einen hübschen Knackpopo hatte er ja. Nur dass das Trägerhemd, das weniger seine Brust als seine Taille bedeckte, die durchstochenen Brustwarzen frei ließ, fand ich unappetitlich. Aber offensichtlich war das Geschmackssache, denn Sonja spielte mit ihren langen, schwarzlackierten Fingernägeln mit dem Kettchen an dem einen Ring. Rüdiger entdeckte mich vor ihr.
»Ey, geil, Mann«, begrüßte er mich, und mir stellten sich die Nackenhaare auf. Ich nickte ihm zu und sagte dann hallo zu Sonja.
»Hallo.« Tonlos und unwirsch klang ihre Entgegnung.
»Kommst du mal eben mit, Sonja. Wir haben etwas zu klären.«
»Hab gleich einen Kurs.«
»In fünfzehn Minuten. Also komm.«
Unendlich langsam schob sie sich von ihrem Hocker und ging mit mir in die Küche.
»Sonja, ich wollte dich bitten, donnerstags meine Vormittagsstunden zu übernehmen, so lange ich den Selbstverteidigungs-Kurs abends mache. Du bist ja immer auf der Suche nach mehr Stunden, darum dachte ich erst einmal an dich, bevor ich die anderen Trainerinnen frage.«
»Donnerstags habe ich Vorlesung. Ich will deine Mittwochstunden.«
»Die möchte ich aber behalten. Außerdem hast du letztes Jahr gesagt, die Hausfrauentruppe magst du nicht.«
»Mir passt aber Mittwoch besser. Die Leute sind mir egal.«
»Sonja, du möchtest immer, dass alles zu deiner Bequemlichkeit geregelt wird. Aber das funktioniert manchmal eben nicht. Ich biete dir an, alle zwei Wochen tauschen wir Mittwoch und Donnerstag. Ist das okay?«
»Nee. Und ich muss jetzt weg.«
Sie ließ mich grußlos stehen, drehte sich aber dann noch mal um und zischte: »Und lass die Finger von Rüdiger, hörst du!«
Manchmal verblüfft es mich immer noch, was die Einbildung bei den Menschen vermag.
Immerhin hatte ich noch einen Verblüffungseffekt zu verzeichnen, denn als ich vor dem Haus aus dem Auto
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