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Hexenkind

Hexenkind

Titel: Hexenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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riesigen Stein davor.
    Niemals hätte Romano diesen gewaltigen Felsbrocken allein bewegen können, aber Edi legte das Kaninchen beiseite und wuchtete den Stein mit Leichtigkeit zur Seite.
    Dann begann er zu graben.
    Romano leuchtete mit der Taschenlampe in die immer größer werdende Grube und schwieg. Er spürte, dass dies ein entscheidender Moment in seinem Leben war, und wunderte sich, wie profan er sich anfühlte. Er stand in der Nacht im Wald, und sein Sohn grub ein Loch. Das war alles.
    Wenig später sah er Edis Schlafanzugjacke. Die orangefarbene
mit den hellblauen Teddybären. Das getrocknete Blut hatte dunkelbraune Flecken hinterlassen, die gesamte Vorderseite der Jacke war blutverschmiert.
    »Wieso hast du deine schmutzigen Sachen vergraben, Edi?«
    »Wie siehst du aus? – So nicht ins Haus!«, kreischte Edi.
    »Wer sagt das?«
    »Oma. Sei nicht dumm – und zieh dich um!«
    »Wann hat sie das gesagt? Vor ein paar Tagen?«
    »Nein, nein, nein – als Edi klein«, brüllte Edi und amüsierte sich über die Frage seines Vaters.
    Auch Edis blaues Sweatshirt war blutdurchtränkt und lag ganz unten in der Kuhle. Daneben die beiden großen Schlachtermesser aus der Trattoria und die Überreste von mindestens vier Kaninchen.
    Edi warf das fünfte hinein.
    »Warum tust du das, Edi?«
    »Im Paradies allein – alles fein.«
    Romano versuchte zu verstehen. Edi hatte seine eigene Philosophie.
    »Und Mama und Elsa? Sind sie auch im Paradies?«
    Edi nickte. »Morgenrot – alle tot.« Er klopfte sich auf die Schenkel vor Freude.
    »Warum Edi? Warum hast du das getan?«
    »Edi Mut – alles gut.«
    Edi strahlte übers ganze Gesicht. »In der Nacht – wird’s gemacht.«
    »Warum, Edi? Bist du nicht traurig, dass Mama und Elsa nicht mehr hier sind?«
    Edi schüttelte erneut den Kopf. »Im Paradies allein – alles fein.«

    Allmählich begriff Romano. Er hatte seiner Mutter, seiner geliebten Schwester und den Kaninchen ins Paradies verholfen.
    Edi legte das dritte Messer ebenfalls in die Grube und begann, das Loch wieder zuzuschaufeln.
    So einfach war das alles. So erschreckend simpel.
    Zum Schluss schob Edi den Stein wieder über die Stelle. Niemand würde je ein Grab darunter vermuten.
     
    Edi wollte kein Abendbrot – er wollte in die Badewanne.
    Romano ließ ihm Wasser ein und gab Edis liebsten Badezusatz mit Himbeerduft dazu.
    Minuten später kam Edi ins Badezimmer, zog sich aus und ließ seinen dicken, schwammigen Hintern ins Wasser platschen, dass der Schaum in alle Richtungen spritzte und in kleinen glitzernden Haufen auf dem Frotteevorleger und auf den Badezimmerfliesen liegen blieb.
    »Wasser marsch – rein den Arsch«, kiekste er und kicherte.
    Dann schloss er die Augen, ließ sich tiefer sinken, bis nur noch sein Kopf aus dem Schaum herausguckte, grunzte wohlig und spielte an seinem Schwanz herum, ohne sich dessen bewusst zu sein. Auch Romanos Anwesenheit im Badezimmer registrierte er nicht.
    Als sich Romano auf den Wannenrand zu ihm setzte, schlug er überrascht die Augen auf.
    »Wir haben ein Geheimnis, wir beide«, begann Romano vorsichtig. »Das Versteck und das Grab im Wald.«
    Edi nickte und biss in den Schaum.
    »Niemand soll je davon erfahren. Oma und Opa nicht und Fremde schon gar nicht.«

    Edi nickte und pustete den Schaum über den Badewannenrand.
    »Ich weiß, was du getan hast, aber ich werde es niemandem sagen. Nur wir beide wissen es, aber wir sind ganz ganz still, und das ist gut so.«
    Edi nickte und spielte mit seinen dicken Zehen. Er versuchte, mit den Zehen des rechten Fußes die Zehen des linken Fußes zu kneifen.
    »Wir gehören zusammen, Edi. Und ich bin immer für dich da. Was auch passiert. Vergiss das nicht.« Romano traten bei seinen eigenen Worten die Tränen in die Augen. Er würde diesen wehrlosen Fleischklops immer verteidigen, würde ihn niemals verraten oder der Polizei ausliefern. Sein Sohn hatte immer nur das Gute gewollt, davon war er überzeugt.
    Edi zu beschützen – das würde für den Rest seines Lebens seine Aufgabe sein.
     
    Edi hatte schon wieder vergessen, was sein Vater gesagt hatte. Er hatte auch nicht richtig zugehört.
    Er spürte nur das angenehm warme Wasser und die Hand, die zärtlich seine Glatze kraulte und seinen Nacken streichelte.
    Edi stieg aus der Wanne, und Romano rubbelte ihn trocken. Besonders sorgfältig unter der gewaltigen Bauchfalte, damit keine Feuchtigkeit darunter blieb und die Haut sich entzündete. Dann holte er ihm einen frisch

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