Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
der Burschen gehörte, den Künstlern alle Nebensächlichkeiten abzunehmen. So mussten sie allmorgendlich neben den Staffeleien der Künstler saubere Lappen, Pinsel sowie Terpentin- und Leinöl griffbereit auf den Arbeitsplatten aufbauen. Anschließend füllten sie rechts neben der Eingangstür, wo in Regalen die Malvorräte einsortiert waren, deren Paletten mit Farben auf. Dabei waren die Wünsche jedes Einzelnen genau zu beachten, was höchste Aufmerksamkeit erforderte, zumal sich diese Wünsche häufig änderten. Hinzu kam, dass die sonst so umgänglichen Künstler aus der Haut fuhren, wenn einer der Farbtöne nicht exakt getroffen war. Verständlich, dass die Burschen jeden Morgen erleichtert waren, wenn sie diese Tätigkeit hinter sich gebracht hatten.
Mitunter hatten sie auch in der Vorratsecke auf dem dortigen Arbeitstisch Malkartons zu präparieren und, was noch weit schwieriger war, manchmal mussten sie aus den fertigen, weiß grundierten Malkartons mit Spitzmessern von den Künstlern darauf aufgezeichnete Ornamente ausstanzen. Fein säuberlich, denn mit Hilfe dieser Schablonen wurde dann so mancher Raum im Herzogspalast mit kunstvollen Ornamenten verziert. Carlo beherrschte dieses säuberliche Ausstanzen schon recht gut, Lukas noch längst nicht, bei seinen Schablonen mussten die Künstler stets noch nachfeilen.
Dennoch blieb den Garzoni ausreichend Zeit für ihre Studien. Der Maestro hatte schnell erkannt, über welch umfangreiche Vorbildung Lukas verfügte. Lukas war in der Klosterschule in Kunstgeschichte unterwiesen worden, hatte dort auch perspektivisches und anatomisches zeichnen gelernt sowie töpfern und modellieren, und Alphonse hatte ihn anschließend noch in alle Techniken der Malerei eingeführt. Deshalb hatte er, im Gegensatz zu den sonstigen Studienanfängern, auch zunächst nicht Monde lang am Zeichentisch zubringen müssen, der Maestro hatte ihn bereits nach wenigen Tagen an die Staffelei geschickt, und Bernardino hatte Lukas prophezeit, durch seine Vorkenntnisse könne er seine Studienzeit erheblich verkürzen. Lukas' und Carlos bescheidene Malplätze lagen nebeneinander vor der Fensterfront zur Straße hin, und der Maestro legte Wert darauf, dass seine Garzoni mindestens fünf Stunden am Tag an ihren Staffeleien saßen oder im Freilichtatelier sowie in der Gießerei in Form gebender Kunst unterwiesen wurden.
Unter all den hiesigen Männern betätigte sich hier auch eine, weiß Gott nicht zu übersehende und zu überhörende, weibliche Person, Charlotta, die matronenhafte Haushälterin, vor deren Regiment sich selbst der Maestro beugte. Deshalb erschienen stets alle pünktlich zu Tisch, vergaßen nach dem Mahl selten, die Öllampen im Blockhaus wieder zu löschen, und die sechs Palazzobewohner, also der Maestro, die Garzoni, der Gärtner sowie die beiden Knechte, ließen nie ihre Schmutzwäsche herumliegen, sondern verstauten sie brav in den Korb neben der Kellertür. Verstieß dennoch mal jemand gegen eine ihrer Ordnungsregeln, dann wurde er Opfer ihrer berüchtigten Kreischsalven, die keinem Bottegaangehörigen entgingen.
Dem Maestro blieben als einzigem diese Charlotta-Ausbrüche erspart. Nicht etwa, weil sie sich die bei ihrem Dienstherrn nicht erlaubt hätte, vielmehr, weil er ihr nie einen Anlass dazu bot, denn er war von Natur aus ein reinlicher Mann. Seine Kleidung war stets picobello, seine Hände immer sauber und seine Fingernägel wiesen niemals schwarze Ränder auf. Auch in der Bottega duldete er keinen Schmutz, er brauste sogar auf, wenn ein Maler seinen Arbeitsplatz zu sehr mit Farbe besudelt hatte oder bei den Malzeiten jemand den Esstisch verkleckerte. Ohja, in der da Vinci-Bottega herrschte Ordnung.
Bislang hatte Lukas noch keinen Moment bereut, sich für Maesto Leonardo entschieden zu haben. In seiner kleinen Wohnung wie auch in der Bottega fühlte er sich heimisch, inzwischen sogar sicher vor seinem Vater, mit den Künstlern verstand er sich ausgezeichnet, und zwischen Carlo und ihm war eine Freundschaft entstanden. Carlos weibische Art störte ihn nicht mehr, ebenso wenig seine oft zu affige Aufmachung, da Lukas erkannt hatte, dass Carlo damit den Kunststudenten herauskehren wollte. Denn jeder Künstler, allen voran Maestro Leonardo, kleidete sich unkonventionell nach seinem eigen Geschmack - reichlich farbenfroh, doch stets fantasievoll schön. Peinlich war Lukas Carlos Veranlagung lediglich, wenn er dem Maestro zu gefallen versuchte, in solchen Momenten schämte er
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