Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
sich für ihn.
Im Gegensatz zu Carlo erfüllten Lukas am meisten die Malstunden, auch wenn er dabei mit einer Diskrepanz zu kämpfen hatte. Wie von früher her gewohnt, hätte er lieber heller, auch fließender gemalt, doch er glaubte, sich das nicht leisten zu können, da dieser Stil in der da Vinci-Bottega nicht üblich war. Die Werke der hiesigen Künstler waren allesamt markant, also bemühte sich Lukas um eine ähnliche Malweise. Damit erregte er allerdings nur Maestro Leonardos Missfallen, von Anfang an hatte er Lukas gerügt: "Du malst zu verkrampft und viel zu hart. Nichts gegen einen festen Strich, aber weiche Übergänge sollen in deinen Bildern auch ihren Platz finden. Erinnere dich, was ich dir über die primären und die sekundären Schatten erklärt habe, die jeden Körper und Gegenstand wie ein Gewand umhüllen."
Später hatte er Lukas angeregt: "Warum verschließt du dich so stur? Öffne endlich dein Herz, lass es in die Bilder einfließen, man malt nicht aus seinem begrenzten Verstand, sondern aus seiner unbegrenzten Seele."
Lukas hatte ihn nur allzu gut verstanden, was dem feinsinnigen Maestro nicht entgangen war, weshalb er Lukas wenige Tage danach erläutert hatte: "Jetzt will ich dich etwas wissen lassen, das nur wenige wahrnehmen. - Jeder Körper erfüllt die ihn umgebende Atmosphäre mit einer unendlichen Zahl ihm ähnlicher Bilder," und während seiner weiteren Ausführung hatten ihm auch Bernardino, Giovanni und Ambrogio aufmerksam gelauscht. Mit abwesendem Blick, als habe er die Schilderung vor seinem geistigen Auge, war der Maestro fortgefahren: "Alle Körper zusammen und jeder für sich, füllen die sie umgebende Luft mit einer unendlichen Zahl ihnen ähnlicher Bilder, die insgesamt die Atmosphäre ausmachen. Sie sind in all ihren Teilen vorhanden und tragen die Natur wie auch die Ursachen ihrer Farben und Formen in sich. - Übe geduldig, Lukas, dann wird sich dir dieses Phänomen eines Tages ebenfalls erschließen. Deine Seele wartet nur darauf."
Nachdem er dann gegangen war, hatten seine Zuhörer noch lange über diese Erläuterung nachsinnen müssen, wobei Ambrogio geäußert hatte: "Ich kann mir nicht denken, von einem anderen Maestro dell'Arte solche Weisheiten zu erfahren."
Und alle hatten seine Meinung geteilt.
Seit dieser Erläuterung reizte es Lukas zwar, dem geschilderten Phänomen nachzuspüren, doch er wagte es nicht, weshalb seine Malstudien weiterhin stümperhaft ausfielen.
Ein wenig ausgleichen konnte Lukas diesen Mangel glücklicherweise im Bildhaueratelier mit seinen Terrakottafiguren und einem begonnenen Säulenfuß in Marmor, was ihm alles recht gut gelang. Auch in der Gießerei stellte er sich zu seinem eigenen Erstaunen nicht schlecht an. Dort durfte er inzwischen sogar schon seine eigenen in Ton geformten, Tier-, Menschen- und Fabelfiguren in Metall gießen, und den fünf dort beschäftigten Künstlern sagten seine fertigen Produkte zu.
Doch so erfreulich diese Tatsache war, bei seiner Malerei hatte er sich hilflos in ein Netz verstrickt.
Heute stellte ihm der Maestro eine Vase mit selbst geschnittenen rosa Rosen auf seine Arbeitsplatte, mit der Aufforderung, sie abzumalen. Darauf gestand ihm Lukas: "Das bringe ich nicht fertig, Maestro Leonardo, ich kann nur aus der Erinnerung oder der Vorstellung heraus schaffen."
"Dazu bist du imstande? Das ist ja weit wertvoller. Und wie geht das bei dir vor sich, kannst du mir das schildern?"
"Ich will es versuchen", antwortete ihm Lukas zaghaft und begann: "Wenn ich mich intensiv auf eine mir bekannte Person, Situation oder Sache konzentriere, wird sie in meinem Inneren lebendig. Ich nehme sie mit allen Sinnen wahr, erfühle und begreife sie viel deutlicher, als ich das mit meinen körperlichen Augen könnte. Dementsprechend würden dann meine Bilder ausfallen, was ja nicht Sinn meiner Malstudienen wäre."
"Oh doch, Lukas, genau das wäre der Sinn. Was du eben geschildert hast, nennt man universelle Vorstellungsgabe, die Vorstufe zur Kontemplation. Derer sollst du dich fortan beim Malen bedienen. War es das, was du so eisern unterdrückt hast?"
"Ich . . , ich weiß nicht."
Der Maestro lächelte: "Sei's drum. Jedenfalls wirst du auf diese Art nun auch diese Rosen auf den Malkarton zaubern können, oder?"
"Das schon, die Frage nur, was dabei herauskommt."
"Darauf lassen wir es ankommen."
Seitdem arbeitete Lukas auf die vom Maestro gewünschte Weise an dem Rosengemälde, heute bereits den dritten Tag. Dabei legte er kaum Wert auf
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