Hexenstein
den Uhren, dem Schmuck, den Anika in der Wohnung nicht gefunden hatte bei ihrem eiligen Aufbruch ohne Worte, ohne Abschied. Sie war gegangen, so wie der Dieb in der Nacht kam. Die Wohnungen waren schnell und weit unter Preis verkauft worden. Zu viele seien am Markt, hatten die Makler schulterzuckend erklärt. Die Kunst, die er wie im Rausch erworben hatte – man machte das so in jenen Cliquen auch diese Kunst verrottete nun auf unbekannten Müllbergen. Als die Werte sogenannter Wertpapiere weltweit fielen, wurden die eigentlichen Schätze wieder sichtbar, tauchten aus einer im Brei der Eitelkeiten versunkenen Welt wieder auf. Das war Beständigkeit. Er hingegen hatte keine Kunstwerke erworben, sondern viel Geld für den Glauben daran ausgegeben welche zu besitzen. Die zusammengeschmiedeten Eisenteile vom Londoner Shootingstar mit Lederstücken beklebt, waren nun genauso viel wert, wie der Markt es bestimmte – reiner Materialwert. Er gehörte zu jenen Jüngern, die der Meinung waren mit der Anhäufung von Schulden zu Reichtum zu gelangen, hatte sich als Vertreter von etwas Neuem, Schnellerem, Einfacherem und zugleich Größerem gesehen – und nun tat ihm der Blick auf die alten Ölgemälde im Haus weh, die ihm Beständigkeit täglich vor Augen führten; die Landschaften, die Stillleben, die Portraits der Großväter und Großmütter. Auch die Bücher und Folianten in der Bibliothek, die nicht mehr genutzt wurden und die er niemals nutzen würde. Laurenz Brenders Leiden lag daran, dass sich ihm der Wert von Dingen allein durch Zahlen erschloss, hinter denen ein Währungszeichen stand.
Nun war er wieder hier in seiner kleinen Stadt und alles war schwerer als zuvor. Das Grab seines Vaters fiel ihm ein, wenn der Oberrengersweiler Weg ihn in die tiefe Schwärze vor dem Waldstück führte. Vom Schönbühl her störten die Scheinwerfer eines einsamen Fahrzeugs das Dunkel rundherum und seine Gedanken. Das gedämpfte Brummen des Motors hatte etwas Besänftigendes durch die Nacht getragen. Vielleicht lag es am Fahrer. Er selbst war nie so gefahren.
Lange erst nach seiner Rückkehr hatte er das Grab seines Vaters besucht. Zuvor, in schweißerfüllten Träumen, hatte er vor ihm gestanden, hatte diese herrische Haltung, den tadelnden Blick gespürt und vor einer Prozession Verwandter Buße getan.
Vor dem Grab aber hatte ihn Zorn darüber befallen, dass dieser riesenhafte Mann seine Macht noch über den Tod hinaus bewahrte. Laut und zynisch hatte er zur Inschrift des Steins gesprochen. »Schade, dass du das nicht mehr erleben kannst. Schade, Papa.« Danach hatte er sich umgesehen, ob es jemand gehört haben konnte.
Laurenz Brender wäre eigentlich finanziell gut ausgestattet gewesen. Die Grundstücke und Wohnungen, die er schon erhalten hatte, waren jedoch alle im dunklen Loch einer Krise verschwunden, denen findige Geister den Namen Finanzkrise gegeben hatten. Ein genialer Coup, denn damit blieb aller üble Geruch in jener Finanzwelt haften und eine selbstgefällige Gesellschaft durfte sich erregen.
Mit dem Rest Geld, der ihm verblieben war, konnte er existieren, aber bald waren Zahlungen fällig, die er nicht würde bedienen können. Zwei Monate hatte er noch Zeit. Still, fast verborgen, lebte er wieder im Elternhaus. Ein herrliches Anwesen mit großem Garten, alten Rosenbüschen und Blick auf den See und die Berge darüber.
Zahlen. Zahlen konnte er nur, wenn er das Haus verkaufte. Er war das einzige Kind und würde also erben. So lautete das Gesetz. Seine Mutter lag krank droben im Zimmer des ersten Stocks und sah den ganzen Tag zum See hinunter, hinüber zu den Appenzeller Hügelzügen und den spektakulären Gipfeln dahinter. Wenn er ihr Zimmer betrat, bekam er die immergleichen Sätze zu hören. So, wie sie seit Jahrzehnten bei Tisch, zu Familienfeiern oder anderen Gelegenheiten schon gesprochen worden waren. Immer gleich, nie etwas anderes. Was jedoch neu war und er kaum hörte, war nur der Hauch von ergebener Wehmut, der mitklang. »Der Säntis, ein so stolzer Gipfel, wie ein Fingerzeig zu Gott«, oder »Die Segelboote, sieh nur, die Segelboote. Wie war das schön, als wir noch segeln gegangen sind, der Vati und wir, nicht wahr.« Und dann, wenn er mit einem Bankerlächeln zustimmte, klagte sie: »Ach, wenn ich nur endlich sterben könnte.«
Und er wusste das Gefühl nicht zu deuten, das ihn befiel, wenn er dachte: »Ja, wenn du nur endlich sterben würdest!« War es Scham? Oder steckte mehr hinter diesem
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