Hexenstein
Gedanken, der ihn eine tiefe Furcht erkennenen ließ und den er nur oberflächlich besah, nicht in das Dunkel dahinter blicken wollte.
In zwei Monaten würden die Zahlungen fällig.
Laurenz Brenders Mutter hatte noch zwei Monate, um zu sterben.
Rechts, in Schwärze getaucht, der Golfplatz, er lag brach. An der Abzweigung nach Heimesreutin ging er geradewegs auf die finstere Wand des Waldes zu.
Zwei Monate waren eine lange Zeit. In zwei Monaten konnte viel passieren.
Ein stechender Geruch riss ihn aus seinen Gedanken – beißend, rauchig. Er musste von einem Feuer stammen.
Vor dem Waldstück, in dem es modrig und säuerlich roch, lag das frische Gras einer offenen Weide. Die Grasspitzen waren von feinem Tau belegt und die frische Nachtluft eines späten Frühjahrs wehte lau. Im Wald war der Dunst, dem er folgte, ein wenig dumpfer geworden. Er spürte zwischen den Stämmen keinen Wind mehr, doch über ihm schwangen die Wipfel der Bäume sanft um die Lichtspitzen der Sterne, die sich ab und an zeigten. Er schloss die Augen und sog die Luft tief durch die Nase ein. Etwas Unbestimmtes, etwas Tierisches erwachte in ihm. Er verließ den Weg, tastete durch die Stämme, dem Geruch folgend, bis ein rötlicher Schein durch die Schattenarmee des Waldes schlug. Feuer. Es war ein Feuer. Sein Herz schlug so, dass es merkbar war.
War sein Körper bisher gekrümmt gewesen, weil er eine Last zu tragen meinte, so wandelte sich das Krümmen nun zu einem Ducken, weil er Lust verspürte, die alte, tief sitzende Lust des Jagens und des Lauerns. Er folgte weiter dem Schein. Hinter dem Stamm einer mächtigen Buche suchte er Schutz und sah auf einen freien Flecken, mitten im Wald, in dessen Mitte grobe Scheiter in einer Erdkuhle brannten. Die Glut knackte und knirschte im harzigen Holz.
Sein Gaumen wurde schlagartig trocken, die Ohren rauschten bis zum Schwindel und sein Herz schlug wild, denn aus der Entfernung sah er eine Gestalt, die nahe der Feuerstelle hockte. Was ihn fesselte, war der Gleichklang der Laute, die das Wesen von sich gab. Er klang fremd und doch vertraut. Jetzt, wo er hätte lauschen wollen, wurde ihm das Rascheln der Blätter bewusst. Er verstand nichts von den Worten, doch die Melodie der Sprache war düster, dunkel, beschwörend. Das war kein Lagerfeuer verliebter Jugendlicher. Er wollte mehr sehen, doch traute er sich nicht weiterzugehen. Sein altes Leiden – die Lust an der Jagd, aber zum Töten zu feige sein. Wirklich getraut hatte er sich nie etwas. Die Wagnisse, die er bewusst und mit Mut einging, betrafen nichts, was ihn existenziell berührte, waren nicht auf die Zukunft gerichtet, sondern auf das Jetzt.
Er kniff die Augen zusammen, als ein heller Feuerschein durch die Nacht fuhr. Das Wesen war aufgestanden und ging … nein, es schwang, drehte und tanzte um das Feuer. Mit langsamen Schritten, im Gleichklang des wohlig-gruseligen Textes, der in unverständlichen gutturalen Lauten über dem Geräusch des Feuers lag. Die Stimme war verstellt und die Eindrücke der Gestalt durch die Wirkungen von Licht und Schatten derart flackernd, dass er nicht wusste, ob er es mit einem Mann oder einer Frau zu tun hatte. Laurenz Brender meinte eine Mischung aus beidem vor sich zu haben. Das Feuer, der Rauch, der noch immer in seine Richtung zog, die beschwörenden Töne, der langsame Gang – alles erregte ihn und er überlegte, ob er nicht seinen geschützten Platz verlassen sollte. Wie in Trance folgte er dem Schatten. Gerade als er einen Schritt aus dem Schatten des Buchenstammes tun wollte, sah er, wie sich vorne am Feuer zwei Arme in die Höhe reckten. Die Hände hielten etwas. Mit einem Sprung und einem kehligen Schrei wurde dieses etwas auseinandergerissen. Laurenz Brender wurde schlecht. Er lehnte den Kopf an die Buche. Das Geräusch des Zerreißens war deutlich zu ihm herübergedrungen. Etwas Fleischiges, vielleicht Lebendiges war da zerrissen worden.
Langsam ließ er sich in die Hocke fallen, still lehnte er an der Buche und schluckte den Speichel, der sich schnell in seinem Mund angesammelt hatte.
Wie lange er im Schutz der Buche lehnte, wusste er nicht. Doch die Gestalt löschte das Feuer in der Kuhle mit Erde, die in lockeren Haufen um das Loch herumlag. Mit lauten Schritten, ohne einen Gedanken daran beobachtet oder verfolgt zu werden, ging der Schatten davon. In sicherem Abstand folgte Laurenz Brender, bis zu den ersten Häusern von Heimesreutin, wo er ihn aus den Augen verlor.
Haussegen
Schielin war
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