Hexer-Edition 01: Die Spur des Hexers
fort. »Ich werde jetzt gleich Ihr Zimmer richten und dafür sorgen, dass diese lästige Tropferei aufhört. Heute Abend schlafen Sie in einem trockenen Bett, das verspreche ich Ihnen.«
Sie stand auf, begann das Frühstücksgeschirr auf ein Tablett zu räumen und schüttelte energisch den Kopf, als Andara ihr helfen wollte.
»Wer sind die Carsons, Miss Lugosi?«, fragte er, als sie mit ihrem Tablett aus der Tür wollte.
Miss Lugosi blieb stehen, wandte ihm stirnrunzelnd den Blick zu und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. Andara fiel zum ersten Male auf, dass sie sehr kleine, spitze Zähne hatte.
»Die Carsons?«, wiederholte sie, obgleich sie den Namen sehr wohl richtig verstanden haben musste. »Wie … kommen Sie ausgerechnet darauf?«
»Ohne bestimmten Grund.« Andara lächelte flüchtig. »Der Name spukt mir seit Tagen im Kopf herum. H.P. hat ihn ein- oder zweimal erwähnt, aber ich weiß einfach nicht mehr, in welchem Zusammenhang.«
»Sicher in keinem guten«, sagte Miss Lugosi entschieden. »Das sind Leute, von denen Sie sich fern halten sollten, Mister Andara. Ein übles Volk, das unten an der Küste lebt, nicht weit von Innsmouth entfernt.«
»Volk?«
Miss Lugosi zuckte so heftig mit den Achseln, dass die Tassen und Teller auf ihrem Tablett zu klirren begannen. »Ben Carson, seine drei unehelichen Bankerte und dieses verlotterte Weibsstück von ihrer Mutter, mit dem er in wilder Ehe lebt«, sagte sie. Andara hatte selten so viel Abscheu und Verachtung in der Stimme eines Menschen gehört wie jetzt in der ihren. Ihr Blick und ihre Worte waren von einem fast heiligen Zorn. »Sie hausen wie die Tiere in einer Hütte, die sie sich aus Treibgut und Abfällen gebaut haben, und sie benehmen sich auch wie die Tiere. Niemand hier verkehrt mit ihnen. Und Sie sollten das auch nicht tun. Sie sind bestimmt keine Freunde von H.P.« Die unausgesprochene Drohung, dass Leute, die die Carsons kannten, ganz gewiss auch nicht ihre Freunde waren und mit großer Sicherheit auch nicht unter ihrem Dach geduldet werden würden, war unüberhörbar.
»H.P. erzählte etwas Ähnliches«, sagte Andara hastig. »Jetzt, wo Sie es sagen, fällt es mir wieder ein. Ich hatte den Namen aufgeschnappt und wusste nur nicht, wo ich ihn unterbringen sollte.«
»Dann vergessen Sie ihn am besten gleich wieder«, riet Miss Lugosi, wandte sich auf der Stelle um und rauschte aus dem Zimmer. Andara war sicher, dass sie die Tür hinter sich zugeworfen hätte, hätte sie eine Hand freigehabt.
Die Carsons, dachte er. Nun, was immer H.P.s geheimnisvolles Postscriptum zu bedeuten hatte – wenn er bis zum Abend nicht zurück war, stellte diese Familie wohl den dritten Punkt auf der Liste der Leute und Örtlichkeiten dar, die er in Augenschein nehmen würde.
H.P. kam an diesem Tage nicht zurück, und auch nicht am Abend. Andara war Miss Lugosis Vorschlag und der Stimme seiner eigenen Vernunft gefolgt und hatte das Haus nicht verlassen, sondern sich nach dem Mittagessen, das zwar nicht im Mietpreis einbegriffen, aber nichtsdestotrotz sehr reichlich ausgefallen war, noch einmal in sein Zimmer zurückgezogen, um ein wenig zu schlafen; ein Unterfangen, das von Miss Lugosi beziehungsweise den Handwerkern, die den ganzen Nachmittag im Haus ein und aus gingen und einen Heidenlärm in den oberen Räumen verursachten, auf äußerst erfolgreiche Art und Weise torpediert wurde. Nachdem ihn das Dröhnen der Hämmer und die erstaunlich phantasievollen Flüche des Klempners das dritte Mal geweckt hatten, zog er sich übellaunig in den Salon zurück und verbrachten den Nachmittag damit, die Sammlung mehrerer Wochen alter Ausgaben des Arkham Advertiser durchzulesen, die er auf einem Tischchen neben dem Kamin fand. Er war noch immer müde, und als Miss Lugosi pünktlich um sieben das Abendessen hereintrug, fand sie ihn schlafend im Kaminsessel vor. Sie weckte ihn, redete eine geschlagene Dreiviertelstunde auf ihn ein und mahnte ihn augenzwinkernd, nicht wieder schlafzuwandeln und dabei in den Fluss zu fallen wie in der vergangenen Nacht, als er sich schließlich für die Nacht verabschiedete. Andara fand ihren Humor mittlerweile etwas nervtötend, enthielt sich aber jeglicher Antwort, sondern lächelte nur unverbindlich und zog sich zum Schlafen zurück.
In dieser Nacht träumte er wieder; und wieder die gleiche Art von entsetzlich realistischem Traum wie in der vergangenen, wenigstens am Anfang. Alles war wieder da: der entsetzliche Geruch, das
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