Hexer-Edition 01: Die Spur des Hexers
halblaute, aber sehr ungehaltene Stimme, die irgend etwas von »halb acht«, und bereits kalt gewordenem Kaffee rief: Miss Lugosi, deren Zeitplan er nunmehr zum zweiten Mal hintereinander durcheinander brachte.
Trotzdem fiel es ihm unglaublich schwer, überhaupt die Augen zu öffnen und sich in eine halb sitzende, halb noch immer liegende Stellung hochzustemmen und den Blick zur Tür zu wenden. »Ich … komme gleich, Miss Lugosi«, sagte er müde. »Nur einen kleinen Moment noch.«
»Das will ich hoffen, Mister Andara«, drang die Stimme seiner Zimmerwirtin durch die Tür. »Die Frühstückszeit ist nämlich im Grunde schon vorbei. Ich verstehe ja, dass Sie von der langen Reise müde sind, und nehme auch gerne Rücksicht darauf. Aber das darf mir bitte nicht zur Gewohnheit werden.«
Andara runzelte die Stirn, stemmte sich mit enormer Willensanstrengung vollends hoch und verbarg das Gesicht in den Händen. Er hatte acht Stunden geschlafen, möglicherweise sogar neun, aber er fühlte sich, als hätte er die gleiche Zeit mit dem Fällen versteinerter Bäume zugebracht. Jeder einzelne Muskel im Leib tat ihm weh, und seine Glieder schienen Zentner zu wiegen und wollten ihn immer wieder auf das Bett zurückziehen.
»Also Sie kommen dann?«, vergewisserte sich Miss Lugosi.
Andara nahm die Hände herunter und schenkte der Tür einen finsteren Blick. Er begann zu verstehen, warum Miss Lugosi keine Freunde hatte. »In einer Minute«, versprach er. Miss Lugosi murmelte eine Antwort, die er nicht verstand, und schlurfte davon. Andara blieb noch einen Moment auf der Bettkante sitzen, zwang sich dann jedoch mit Macht, aufzustehen und das Fenster zu öffnen.
Die frische Luft tat gut, obwohl es selbst zu dieser frühen Stunde schon beinahe zu warm war. Zudem war der kleine Hinterhof an allen Seiten von hohen Mauern umschlossen, so dass sich nicht der leiseste Windzug regte. Einen Moment lang dachte er an seinen Traum und daran, wie unheimlich und drohend dieser Hof darin gewirkt hatte. Jetzt, im hellen, freundlichen Licht des Morgens, war nichts Bedrohliches mehr an ihm. Es war ein ganz normaler, kleiner Hinterhof, genau so heruntergekommen und alt wie dieses ganze Haus, aber nicht mehr. Er seufzte, schloss das Fenster wieder und bückte sich nach seinen Schuhen, die neben dem Bett lagen.
Sie waren nass.
Andara erstarrte. Für einen kurzen, entsetzlichen Moment hatte er das Gefühl, die Berührung einer eisigen Hand im Nacken zu spüren. Seine Schuhe waren nass, nicht feucht oder mit dem Schlamm der Wege bespritzt, die er entlanggeritten war, sondern nass. Auf dem Boden rings um sie herum hatte sich eine glitzernde Pfütze gebildet, die knöchelhohen Stulpen waren aufgeweicht und traurig wie verwelkte Blütenblätter nach innen gesunken. Aber das war unmöglich!
Sein Kopf flog mit einem Ruck in den Nacken. Seine Augen weiteten sich vor Schrecken, als er den Wasserfleck an der Decke sah.
Er war auf das Doppelte seines Umfanges angewachsen. Der Verputz hatte sich dunkelbraun verfärbt und war in der Mitte bereits so aufgeweicht, dass er eigentlich längst hätte herunterfallen müssen. Und noch während er hinsah, sammelte sich Wasser zu einem kleinen Tropfen und fiel von der Decke, um zielsicher einen seiner Schuhe zu treffen.
Andaras Herz begann zu rasen. Plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, hatte er Angst, völlig sinnlose, aber deshalb nicht weniger schreckliche Angst. Er dachte an das schwere Rauschen und Schwappen, das hastige Platschen großer nasser Füße und sich formlos windendes schwarzes Entsetzen, und mit einem Male fiel ihm auch der Geruch wieder auf, der noch immer im Zimmer hing und deutlich stärker geworden war als am Vorabend.
Andara richtete sich wieder auf und trat abermals ans Fenster, um auf den Hof hinauszusehen. Diesmal schenkte er ihm mehr als einen flüchtigen Blick. Aber da war nichts: keine feuchten Flecken, die an der Wand entlangführten, keine glitzernden Schleimspuren, als wäre eine gewaltige Schnecke hier entlanggekrochen, keine dräuende Dunkelheit, die in dem Schatten lauerte und ihn aus unsichtbaren gierigen Augen anstarrte. Andara drehte sich herum, starrte die Decke an, seine feuchten Schuhe, auf die immer noch Wasser in gleichmäßiger Folge heruntertropfte, dann wieder die Decke, und versuchte Ordnung in das Chaos zu bringen, das mit einem Male hinter seiner Stirn tobte. Er war noch immer vollkommen sicher, dass alles nichts als ein Traum gewesen war – nicht mehr
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