Hexer-Edition 06: Die Chrono-Vampire
die Zwischenwelt wieder verlassen konnte. Das Ding, das aus dem Tor der GROSSEN ALTEN entstanden war, dieser brennende Teufelsschädel, war mehr als ein geistloses Werkzeug. Es war ein Monstrum, eine grauenhafte Perversion alles Lebenden. Es fraß alles, was es erreichen konnte. Sein Opfer war das Labyrinthwesen, aber auch das Labyrinth selbst und alles, was sich darin aufhielt. Unter anderem ich.
Steine und Balken lösten sich aus der Decke und prasselten auf meinen Stockdegen nieder, der neben dem Portal lag. Ich zerrte verzweifelt an meinen Ketten, und – zerbrach sie mit einem Ruck. Verwirrt starrte ich auf das spröde, zerfallende Metall, das ich in meinen Fingern hielt, schleuderte es dann in das Maul und sprang auf die Füße. Im gleichen Moment glühte der Shoggotenstern meines Degenknaufes unter den Trümmern auf, so als hätte er auf mich gewartet. Ich riss die Waffe an mich und taumelte ins Freie.
Hinter mir zerfiel der Palast des himmlischen Friedens zu Staub. Er und ein großer Teil des Labyrinthwesens verschwanden auf Nimmerwiedersehen im Tor. Doch dieser Happen regte den Appetit des Schädels nur noch mehr an. Er saugte alles, was sich in seinem Bereich befand, in sich hinein. Selbst die Marmorplatten des großen Platzes konnten ihm nicht widerstehen. Sie brachen krachend aus dem Boden und flogen dicht an mir vorbei in das Riesenmaul.
Ich rannte, so schnell mich meine schmerzenden Knochen trugen, und fragte mich, wie lange es wohl dauern würde, bis mich eine zusammenbrechende Wand oder ein herabstürzender Stein umbrachten – oder die Hitze des flammenden Schädels, der sich in die Substanz des Labyrinthwesens hineinfraß.
Kurze Zeit später erreichte ich die Mauer, die den Platz begrenzte, entdeckte eine Pforte und rannte darauf zu. Mit fliegenden Händen schob ich den Riegel zurück und wollte die Tür aufstoßen. Doch sie war in den Angeln festgerostet. Verzweifelt warf ich mich dagegen und rüttelte an ihren Gitterstäben, bis mir die Handflächen aufplatzten und Blut in meine Ärmel rann.
Da packte eine lange Feuerzunge nach mir, erwischte aber nur die Pforte und riss sie buchstäblich in Stücke. Ich zwängte mich hastig durch die Öffnung und stürmte auf die Straße hinaus.
Oder das, was ich für eine Straße gehalten hatte.
Ich wusste nicht, was geschah: Die Welt schien vor meinen Augen zu einem Vorhang aus wirbelndem Grau und auf und ab tanzenden Schleiern zu zerschmelzen; ich sah Umrisse, Gesichter, Visionen, eine Stimme: »Jetzt! Holt ihn heraus!«
Und dann das Kreuz.
Das Bild war ganz deutlich: ein flammendes, gleichschenkeliges Balkenkreuz in blutigem Rot, das wie ein Fanal durch das Chaos der zerberstenden Wirklichkeit auf mich herabstieß.
Ich schrie, riss die Hände über den Kopf und versuchte zur Seite zu springen. Aber meine Reaktion kam zu spät.
Plötzlich waren die tobenden Schatten verschwunden, und die Welt versank im grellen Rot des Kreuzes …
Das Nächste, was ich bewusst wahrnahm, waren Stimmen. Die Stimmen von vier, fünf, vielleicht mehr Menschen, die sich gedämpft miteinander unterhielten, dazu all die anderen, einzeln kaum erkennbaren Laute, die mir verrieten, dass ich nicht allein und zumindest in einem halb realen Teil der Welt war, einer Welt, in der es wieder lebende Menschen und richtige, massive Häuser gab, Häuser aus Stein und Holz, die nicht versuchten, einen aufzufressen.
Ich blinzelte, hob rasch die Hand vor die Augen und verbiss mir im letzten Moment ein Stöhnen, als das grelle Licht einer Gaslampe wie eine dünne Nadel in meine Augen stach.
Eine Hand berührte mich an der Stirn, blieb einen Moment darauf liegen, wie um meine Temperatur zu überprüfen, und zog sich zurück.
»Bewegen Sie sich nicht, Mister Craven«, sagte eine Stimme. »Die Schmerzen und das Schwindelgefühl werden bald vergehen. Aber Sie müssen Geduld haben. Und keine Angst mehr. Sie sind in Sicherheit. Bei Freunden.«
Etwas an der Art, in der er das Wort Freunde aussprach, mischte sich wie ein unangenehmer Geschmack in den freundlichen Klang seiner Stimme.
Mühsam hob ich erneut die Lider. Im ersten Moment war das Licht so grell, dass ich nichts außer Schatten mit verschwommenen Rändern und leeren Flächen erkannte, wo die Gesichter sein sollten. Dann gewöhnten sich meine Augen an die gleißende Helligkeit.
Ich lag auf dem Rücken in einem breiten, sauber bezogenen Bett. Um mich herum stand eine Anzahl Männer – vier oder fünf, die ich erkennen konnte,
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