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Hexer-Edition 08: Engel des Bösen

Hexer-Edition 08: Engel des Bösen

Titel: Hexer-Edition 08: Engel des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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lautlosen Befehl hin setzte sich Lady Audley in Bewegung, trat ganz an das Grab heran und schloss die Augen. Ihre Lippen zuckten.
    Und dann sah ich die Ratte.
    Irgendetwas unterschied sie von den zahllosen Tieren, die zusammengekommen waren, um der fürchterlichen Zeremonie beizuwohnen. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, was es war.
    Es war die Ratte, die Kilian begleitet hatte. Das Tier, das mich gerufen hatte. Und im gleichen Moment, in dem ich das begriff, spürte ich das Tasten. Es war wie die Berührung unsichtbarer Spinnenfinger in meinem Geist, ein Suchen und Sondieren auf dumpfer, animalischer Ebene, das ich trotzdem verstand – und auf das ich reagierte.
    Die Verbindung kam so schnell zustande wie am Nachmittag, als ich mit dem Geist der Amok laufenden Ratten in London verschmolzen war; nur dass es diesmal die Ratte war, die den Kontakt herstellte. Sie war noch immer ein Tier und trotzdem waren ihre Handlungen zielgerichtet und überlegt, denn da war ein anderer, stärkerer Geist im Hindergrund, der sie lenkte. Für Bruchteile von Sekunden sah ich durch die Augen der Ratte.
    Und für Bruchteile von Sekunden sah ich Shadow so, wie sie wirklich war.
    Sie war groß. Eine Frau oder zumindest ein Wesen solcher Sanftheit und Grazie, dass sie nichts anderes als eine Frau sein konnte. Schneeweißes Haar fiel in unzähligen Locken über ihre Schultern, breitete sich wie eine Flut über das strahlende Weiß ihres Gewandes aus und berührte die gewaltigen, weit gespannten Flügel, die zwischen ihren Schulterblättern hervorwuchsen …
    Ich schrie auf.
    Shadows Kopf ruckte hoch und in ihren goldenen Augen flammte Schrecken, dann nackte, panische Angst. Plötzlich fuhr sie herum, stieß einen schrillen Laut aus und deutete auf die Ratte.
    Im gleichen Moment erlosch die geistige Verbindung zwischen uns und ich sah Shadow wieder so, wie ich sie sehen sollte. Die Ratte quietschte, fuhr auf der Stelle herum und versuchte verzweifelt, sich in Sicherheit zu bringen.
    Sie kam nicht weit. Wie eine graue Flut stürzten sich hunderte ihrer Rassegenossen auf sie und rissen sie buchstäblich in Stücke.
    Wie vor den Kopf geschlagen starrte ich Shadow an. Ich wusste, dass das, was ich gesehen hatte, die Wahrheit war. Aber ich weigerte mich, es zu glauben. »Nein«, stammelte ich. »Das … das ist nicht … nicht möglich. Das … das kann … kann nicht sein! Nicht … das. Du … du kannst kein … kein -«
    »Schweig!«, schrie sie, und das Wort wurde von einem gedanklichen Hieb solcher Wucht begleitet, dass ich taumelte und mich wie unter Schmerzen zusammenkrümmte. »Sprich das Wort nicht aus!«
    Ich stürzte, prallte mit dem Gesicht gegen einen Stein und verlor beinahe das Bewusstsein. Trotzdem spürte ich den Schmerz kaum. Hinter meiner Stirn tobte das Chaos und für Sekunden balancierte ich auf der messerscharfen Trennlinie zwischen Wahnsinn und Normalität entlang. Es konnte nicht sein! Nicht, wenn nicht alles, woran Menschen jemals geglaubt hatten, falsch sein sollte!
    »Iä!«, rief Shadow. Plötzlich war ihre Stimme nichts als ein widerliches Krächzen, die grausame Verhöhnung des Bildes, das ich durch die Augen der Ratte gesehen hatte. »Iä Shub-Niggurath! Ngaa-thgaa nhafth!«
    Meine Hand tastete verzweifelt über den Boden, kroch in meine Jackentasche und umklammerte etwas Kleines, Hartes, ohne dass ich erkannte, was es war. Shadows Stimme fuhr fort, diese scheußlichen Töne zu produzieren, und unter uns, in der Grube, begann Shub-Niggurath langsam Gestalt anzunehmen. Wie durch einen blutigen Nebel sah ich, wie Lady Audley mit einem entschlossenen Schritt vortrat, über den Rand der Grube geriet und wie in Zeitlupe nach vorne kippte.
    Ich riss den Arm hoch und schleuderte den Stein. Der Shoggotenstern drang in das grüne Leuchten ein, eine halbe Sekunde, ehe Lady Audley mit weit ausgebreiteten Armen in Shub-Nigguraths Rachen fiel.
    Und die Zeit blieb stehen.
    Es dauerte nur den tausendstel Teil einer Sekunde und trotzdem Ewigkeiten.
    Das grüne Leuchten erlosch. Der schwarze Balg des GROSSEN ALTEN zuckte wie unter einem Hieb, zog sich zusammen, bebte, zitterte, versuchte vor dem verfluchten grauen Stein zurückzuweichen und wand sich unter Krämpfen.
    Dann zerplatzte er. Im gleichen Moment, in dem der Shoggotenstern sein unheiliges Fleisch berührte, löste sich das Ungeheuer auf, verging in einer lautlosen Explosion grellweißer Helligkeit. Ein unglaubliches Brüllen erklang, ein Schrei solcher Verzweiflung

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