Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I
durch jede nur denkbare Waffe unbezwingbar gewesen, aber für den zeitlos kurzen Moment der Verschmelzung mit dem Wächter war er so verwundbar wie die Kreatur, die er erschaffen hatte.
In dem Raum schien eine zweite, grausam helle Sonne aufzugehen. Licht von ungeahnter Intensität hüllte die beiden ineinander gekrallten Ungeheuer ein und verzehrte sie. Gleichzeitig erscholl ein so grässlicher Schrei, dass Howard glaubte, sein Trommelfell müsste platzen, ein Schrei so voller Wut und Enttäuschung, wie ihn kein Wesen dieses Universums hervorbringen könnte.
Howard hob schützend die Arme vor die Augen, blinzelte in den Vulkan aus Licht hinein und sah, wie eine unsichtbare Macht nach dem SIEGEL griff und es in sechs gleich große, brennende Teile zerbrach. Die Ankunft der GROSSEN ALTEN schien sich auf unheimliche Weise umzukehren, als liefe das Geschehen noch einmal rückwärts ab. Dieselbe unsichtbare Riesenfaust, die das SIEGEL zermalmt hatte, riss die finsteren Götter zurück in ihr Gefängnis zwischen den Wirklichkeiten, rasend schnell und unbarmherzig. Der Wutschrei der GROSSEN ALTEN verhallte. Gleichzeitig erloschen die Blitze, einer nach dem anderen und in der gleichen Reihenfolge, in der sie aufgeflammt waren.
Plötzlich war es still. Selbst das Prasseln der Flammen und das Grollen des Unwetters klangen gedämpft, wie von weit, weit her. Stöhnend richtete sich Howard auf. Um ihn herum brannte es lichterloh, und die Luft war voller Hitze und beißendem Qualm und Flammen. Das Haus ächzte unter der Urgewalt des Feuers, das es verzehrte, aber es waren jetzt nur noch gewöhnliche Flammen, nicht mehr das Höllenfeuer der GROSSEN ALTEN.
Es war vorbei.
1. September 1892
Der Zeit der Dunkelheit war eine Zeit des Erwachens gefolgt. Ich vermochte nicht zu sagen, wie lange die eine oder andere gedauert hatte. Ich vermochte nicht zu sagen, was vor der Dunkelheit gelegen hatte oder in ihr, nur eines spürte ich: dass diese Dunkelheit nicht leer und der Tod nicht der ewige Friede war, für den ihn die meisten Menschen hielten.
Denn ich war tot gewesen.
Oder dem Tod zumindest so nahe, wie man ihm nur sein konnte, wollte man den letzten Moment der möglichen Umkehr nicht versäumen. Mein Geist, jener Teil meines Selbst, der nicht Körper noch Fleisch, nicht Blut noch messbare Energie, sondern das ist, was man gemeinhin mit dem so unzulänglichen Wörtchen LEBEN bezeichnet, hatte jenen finsteren endlosen Ozean berührt, der so alt ist wie das Universum und noch da sein wird, wenn dieses längst vergangen ist.
Dies alles aber wurde mir erst zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt klar. Jetzt erwachte ich und so wie der lange Schlaf zuvor war auch dieses Erwachen mit nichts zu vergleichen, woran ich mich je erinnert hätte. Was in diesem Augenblick allerdings nicht viel bedeutete, denn ich erinnerte mich an rein gar nichts. Was ich heute als ein Erwachen bezeichne, das erschien mir damals wie ein Geborenwerden, denn das Gefäß meines Geistes war leer, all die Schubladen und Schränke meiner Erinnerung standen offen und warteten darauf gefüllt zu werden; und ich wusste nicht, wer ich war, noch wo ich war. War die Zeit des Todes wie ein endlos langes, langsames Dahingleiten durch einen gischtlosen Ozean gewesen, unter dessen Oberfläche sich düstere Dinge bewegten, ohne sie jemals ganz zu durchbrechen oder wirklich in den Bereich des Sichtbaren zu gelangen, so war das Erwachen wie ein mühsames Emportauchen aus diesem Meer, ein langsames Aufsteigen an die Oberfläche eines schwarzen, klebrigen Sumpfes, der mich einhüllte wie der Beutekokon einer Spinne ihr Opfer, und sich ebenso hartnäckig dagegen sträubte mich wieder freizugeben.
Dann kam der Schmerz.
Zuerst war er nur wie ein Funke in der Unendlichkeit, ein winziger Stecknadelkopf aus Licht, und mit diesem roten Pulsieren, das rasch an Helligkeit und Stärke gewann, kam eine erste Erinnerung. Der Schmerz war neu und unbekannt und zugleich uralt und vertraut, denn er war das Letzte gewesen, was ich in der Zeit vor der langen Dunkelheit gespürt hatte.
Ich wehrte mich nicht dagegen, denn ich kannte ihn nicht und wusste nicht damit umzugehen, so wie ich nichts kannte und mit nichts hätte umgehen können. Ich ertrug ihn einfach und obwohl er unbeschreiblich und grausam und unerträglich war und immer noch schlimmer und schlimmer wurde, erschien er mir doch gleichzeitig unglaublich süß und erquickend, denn es war das erste Mal, dass ich mir der Tatsache
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