Hibiskusblüten
Stretcher — nehmen Sie ihr kleines Tier da mit, ehe es uns ganz unter Wasser gesetzt hat. Schließlich sind wir keine Pioniere!“
Ich packte John im Genick, rannte hinunter und fuhr zu Muriels Haus. Als ich den Wagen gerade die sandige Straße hinaufquälte, ging mir der Sprit aus. Ich war in letzter Zeit viel gefahren und hatte vergessen, nachzutanken!
Ich ließ den Wagen mitten auf der Straße stehen, nahm John unter den Arm und marschierte die Sandstraße aufwärts. Die Sonne brannte wie eine Schweißflamme. Um mich her war die Stille der beginnenden Mittagszeit; auf dem Mond hätte es nicht ruhiger sein können. Ich hörte nur das Keuchen meiner Lungen. Auch John schien es zu heiß zu sein; er hechelte und strampelte von Zeit zu Zeit heftig mit den Beinen. Aber wenn ich ihn auf den Boden setzte, blieb er wie angeklebt sitzen und schaute mich hilflos an.
Obwohl ich mich eilte, daß mir das Wasser herunterlief und mein Herz klopfte wie ein alter Dieselmotor, brauchte ich fast eine Dreiviertelstunde bis zum Bungalow.
Ich öffnete mit meinem Sperrhaken die Tür, stürzte ins Wohnzimmer und nahm mir nicht einmal die Zeit, den Laden zu öffnen. Bei Licht suchte und fand ich das kleine, graue Buch. Es war in billige Pappe gebunden. Auch Papier und Druck verrieten, daß es eine der wissenschaftlichen Ausgaben war, an die man keine Ausstattung verschwenden konnte, weil die Auflage nur gering war.
Der Titel lautete tatsächlich:
„Die tödlichen Pflanzen der Südsee“
von C. Roger
Es war 1946, also vor etwa neun Jahren, im Centurio-Verlag in San Francisco erschienen. Auf der ersten Seite stand, mit einer verblichenen Tinte geschrieben, die Widmung: „Für Dinah Clearney, 16. Mai 1947, C. Roger“.
Ich schlug das Inhaltsverzeichnis auf und entdeckte tatsächlich das Wort Hibiskus. Mit zitternden Fingern suchte ich das Kapitel und las:
„Hibiskus
In keinem Buch über Giftpflanzen werden wir den Hibiskus erwähnt finden. Er ist auch tatsächlich nicht giftig, und trotzdem ist er eine tödliche Pflanze. Vielleicht sogar die tödlichste, die es in der Südsee gibt.
Während sich die Fremden beim Besuch der schillernden Südseeinseln an den wundervollen Hibiskusblüten erfreuen, die von den hübschen Mädchen graziös als Schmuck getragen werden, bergen gerade diese Blüten ein wahrhaft schauerliches Geheimnis, das nur den Eingeborenen bekannt ist, und von ihnen vor Fremden ängstlich bewahrt wird.
Erst nach langen Bemühungen ist es mir gelungen, Näheres über die Anwendung dieser Blüten zu Mordzwecken zu erfahren.
In den Statistiken, die von einigen Verwaltungsstellen geführt werden, finden wir immer wieder als eine der häufigsten Todesursachen in der Südsee die Lungenentzündung.“
Ich fühlte, wie mir das Wasser in kleinen Bächen am Körper entlanglief. Da war sie, meine Lungenentzündung! Ich hatte recht gehabt! Als ich weiterlas, verschwammen mir teilweise die Buchstaben vor den Augen.
„Ich hatte Gelegenheit, mit vielen Ärzten hierüber zu sprechen, und sie bestätigten mir, daß die Eingeborenen gegen diese tückische Krankheit besonders anfällig seien. Hauptsächlich, sagten sie mir, würden Frauen dahingerafft. Die Ärzte wunderten sich, daß ihre üblichen Mittel gegen Pneumonie in diesen Fällen so gut wie gar keinen Erfolg hatten. Die Enträtselung des Geheimnisses um die Hibiskusblüten, die als Schmuck so prachtvoll, und als Tötungsmittel so sicher und bestialisch wirken, ist erstaunlich einfach: Die Eingeborenen pflücken die zarten, großen Blütenblätter, dörren sie vollständig aus und zerreiben sie dann in Mörsern zu einem feinen, bräunlichen Pulver, das so leicht ist, daß es schon beim leisesten Luftzug davonweht.
Von diesem Pulver, das auch in seiner Farbe unauffällig ist, blasen die Eingeborenen dem Todeskandidaten ganz geringe Mengen zu, sobald dieser schläft oder nicht aufmerksam genug ist. Mir wurde versichert, daß es sogar genüge, aus einiger Entfernung etwa einen Kaffeelöffel voll von diesem Pulver in die Richtung des Schläfers zu blasen. Die winzigen Partikelchen setzen sich in den Bronchien fest und rufen dort binnen kürzester Frist eine typische Lungenentzündung hervor, an der der Betroffene zugrunde geht, ohne daß man ihm helfen könnte.
Ich habe den Versuch selbst ausgeführt und einige Blüten pulverisiert. Den gewonnenen Staub, etwa einen halben Kaffeelöffel voll, blies ich einem Hund in die Gegend der Nase. Das Tier störte sich keineswegs
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