Hidden Moon
Das waren die letzten Worte, die ich hörte, dann starb ich.
Drei Tage und drei Nächte lang lag ich begraben unter der Erde. Dann schlug ich die Augen auf und lebte! Kann jemand die Panik ermessen, die einem widerfährt, wenn das Bewußtsein begreift, das man lebendig begraben ist?
Voller Angst hämmerte ich gegen das Holz meines Sarges. Es brach ohne Mühe. Nicht einmal Schmerzen verspürte ich in den Knöcheln meiner Hände. Dann begann ich zu graben. Hand um Hand wühlte ich mich durch die weiche Erde eines frischen Grabes, bis sie mich wieder ausspuckte.
Ich hatte Durst, irrsinnigen Durst. Das war mein erster Gedanke, den ich wirklich fassen und begreifen konnte. Mehr wankend als gehend machte ich mich auf den Weg zu der Taverne, die mir so vertraut war - nur in dieser Nacht nicht. Alle starrten mich mit bleichen Gesichtern und voller Furcht an, bis es einem von ihnen gelang, die Furcht in Worte zu kleiden: »Ein Vampyr! Das ist ein verfluchter Widergänger! Rammt dem Blutsäufer den Pfahl ins Herz!«
Da begriff ich und rannte um mein zweites Leben. Ich entkam mit Mühe und Not und mit Hilfe einer der Burschen, der so unvorsichtig war, mir alleine zu folgen. An ihm stillte ich zum ersten Mal meinen Durst, rammte meine Zähne in sein weiches Fleisch und trank den roten, warmen Sanft in vollen Zügen. Ich haßte mich dabei, jede Sekunde lang, und doch tat es so unendlich gut.
Seit jener Nacht kann ich begreifen, was wahre Einsamkeit ist, die Einsamkeit des Vampyrs. Verdammt bin ich, durch die Nacht zu wandeln und zu leben vom Blute der Menschen. Immer allein und immer auf der Flucht. Man schließt nur schwer Freundschaften, wenn man nach Grab riecht, Blut trinkt und in der Sonne verfault. Man kann nur schwer lieben, wenn man beim Anblick der Geliebten an die nächste Mahlzeit denkt, die man haßt, aber braucht, weil man zu feige für die Konsequenz ist.
Das ist das Schlimmste an meinem Fluch. Die alte Hexe hat mir so viel genommen, aber nicht meine Gefühle. Jede Sekunde sehne ich mich nach einem Leben, das ich nicht mehr habe. Das ist wahre Einsamkeit in ewiger Nacht.
© Lars Papritz, Jahnstr. 23, 89355 Grundremmingen
Glossar
Kodex, Der - Aufgrund der geringen Population der Vampire ist es für sie wichtig, die eigene Art nicht selbst zu dezimieren. Daher gilt bei den Blutsaugern das eherne Gesetz, untereinander nicht zu töten. Lilith handelt ständig gegen den Kodex, aber auch Landru hat schon im Interesse eigener Ziele mehrfach dagegen verstoßen.
Landers, Hector - Tarnname von Landru, mit dem er sich unter den Menschen bewegt. Unter dieser Bezeichnung unterhält er Kontakte zu höchsten Kreisen in Wirtschaft, Militär und Politik-Zeit, diese Beziehungen aufzubauen, hatte er in den über tausend Jahren seiner Existenz mehr als genug.
Mimikrykleid - Eine der wenigen Eigenschaften, die dem Symbion-ten auf Liliths Haut geblieben sind, ist die der Formwandlung. So dient er der Halbvampirin als »Wechselkleid« - ob Wintermantel, Abendrobe oder Neglige, es bedarf nur eines Gedankens, um die passende Garderobe zu formen. Die bevorzugte Form des Symbionten ist ein hautenges, schwarzes, wie zerrissen aussehendes Catsuit; wahrscheinlich die am einfachsten zu gestaltende Form.
Seelenname - Die Arapaho-Indianer können durch eine geistige Brücke zum Adler, dem Totemtier des Stammes, dem Bösen entsagen. Dabei verbinden sich die Seelen von Vampir und Adler, und die reine Tierseele läutert das Böse, das den Arapa-ho noch immer zueigen ist. Jedem der Vampir-Indianer steht ein Adler zur Seite, der so eng mit ihm verbunden ist, daß beide den Seelennamen des jeweils anderen erkennen. Hidden Moons Name lautet »Creeaa«. Lilith erkennt ihn, als sie sein Totemtier unter dem Einfluß der Vampirseuche tötet. Damit geht die Verantwortung des Adlers auf sie über .
Spiegel - Vampire hassen Spiegel, denn sie zeigen ihnen, daß sie im Grunde Schattenwesen sind - indem sie sie nicht zeigen. Die Gründe, warum weder ein Spiegel, noch eine andere reflektierende Fläche Vampire wiedergibt, ist ungeklärt; der Sage nach besteht der Grund darin, daß Widergänger keine unsterbliche Seele mehr besitzen, also ihre Gottlosigkeit offenbar wird. Dies gilt auch für das Fehlen eines Schattens. Lilith, die zur Hälfte Mensch ist, besitzt zwar ein Spiegelbild, das aber unscharf erscheint, wie durch fließendes Wasser betrachtet.
Die zweite Wirklichkeit
von Timothy Stahl
Es ist ein Morgen wie jeder andere. Als Lilith Eden im
Weitere Kostenlose Bücher