Hier und jetzt und Himbeerkuchen: Roman (German Edition)
gesagt. Nicht enthemmt!
»Wie lange ist er denn noch so?«, will ich wissen.
»Vielleicht eine halbe Stunde. Das Gute ist, dass er sich nachher an nichts mehr erinnern wird.«
Na, da bleibt ihm ja einiges an Peinlichkeit erspart.
Mit einmal spüre ich, wie Felix seinen Arm um mich legt und sich Richtung Ausgang wendet. Das mit dem Arm ist mir eigentlich viel zu vertraulich. Aber Hauptsache, wir gehen endlich.
»Los geht’s«, sage ich zu Felix, der sich tatsächlich in Bewegung setzt. Während er mich noch etwas fester an sich drückt, legen wir ein paar Schritte zurück, dann macht er abrupt halt. Ausgerechnet vor der Tür zum Wartezimmer.
Der Gallenpatient winkt uns zu.
»Wenigstens einen Radiergummi sollten die aber schon für Sie haben!«, feuert er Felix hinterhältig an.
Doch der scheint inzwischen jedes Interesse an Give-aways verloren zu haben. Ganz offensichtlich ist er jetzt von etwas anderem gefesselt.
Von meinen Haaren.
Seine rechte Hand ist von meiner Schulter auf meinen Kopf gewandert und fährt zärtlich durch meine Kurzhaarfrisur.
Das ist kein wirklich unangenehmes Gefühl – aber es geht zu weit.
Klares Durchgreifen ist nun angebracht. Ich lange nach Felix’ Hand, um sie von meinem Kopf zu entfernen und ihn dann zügig aus der Praxis zu zerren. Er dreht seine Hand in einer erstaunlich eleganten Bewegung, so dass meine in ihr zu liegen kommt. Verärgert schaue ich ihm ins Gesicht. Seine graugrünen Augen sind merkwürdig dunkel und fixieren mich.
»Iris«, sagt er mit rauer Stimme und zieht meine Hand an seinen Mund.
Mein Gott!
Was hat dieser verdammte Magendoktor ihm bloß gegeben?
»Jetzt kommt’s!«, sagt der Gallenmann.
Ich glaube, ein »Pssst!« von der Magenpatientin zu hören.
Die Sprechstundenhilfe räuspert sich gespannt.
Selbstverständlich versuche ich, Felix meine Hand zu entwinden. Trotzdem spüre ich sanft seine Oberlippe und seinen Dreitagebart auf meinen Fingerspitzen.
»Iris«, setzt er noch mal an. »Ich muss es dir endlich mal sagen …«
Verzweifelt drehe ich mich zur Sprechstundenhilfe um, die uns zuschaut, als ob sie jetzt nicht gestört werden möchte.
»Können Sie bitte den Doktor holen, damit er ihm so eine Art Gegenmittel gibt, ja?«, flehe ich sie an.
»Wieso denn?«, fragt sie scheinheilig. »Er macht doch nichts Schlimmes.«
Ich merke, wie Felix mir mit seiner freien Hand behutsam über die Wange streicht. In der Hoffnung auf ein strenges Wort, das mir sicher gleich einfallen wird, blicke ich ihm wieder ins Gesicht.
»Ich liebe dich, Iris«, sagt Felix.
Mit feierlichem Ernst in der Stimme.
»Oh!«, macht die Magenpatientin.
Ich sehe mich schnell um. Sie ist inzwischen neben den Krustenbraten gerückt und bewundert Felix und mich mit roten Wangen wie zwei Darsteller in einer Hollywoodschnulze.
»Iris!«, sagt Felix, und ich drehe mich wieder zu ihm.
Zum Glück sieht er ein klein wenig ernüchtert aus.
»Wir gehen jetzt.« Ich entschließe mich, keinen einzigen Gedanken an das zu verschwenden, was Felix eben gesagt hat. Weil er im Augenblick ganz offensichtlich nicht er selber ist.
»Iris! Hast du überhaupt gehört, was ich gesagt habe?«
Krampfhaft überlege ich, was jetzt das Klügste wäre.
Die Tür zum Sprechzimmer geht auf und der Doktor blickt mit verärgerter Miene zur Sprechstundenhilfe.
»Frau Brünjes, würden Sie mir wohl netterweise den nächsten Patienten reinbringen?«, raunzt er und verschwindet wieder.
Die pflichtvergessene Sprechstundenhilfe springt auf, marschiert ins Wartezimmer und verkündet: »Herr Eberlein, bitte!«
Ich schaue Herrn Eberlein und Frau Brünjes nach, bis sich die Tür zum Sprechzimmer hinter ihnen schließt.
Ha. Sie werden nie erfahren, was ich Felix antworte!
»Wir sprechen später darüber!«, sage ich. Später wirst du dich sowieso an nichts mehr erinnern. »Jetzt bringe ich dich erst mal nach Hause.«
»Okay«, antwortet Felix unsicher und klingt längst nicht mehr so enthemmt wie noch ein paar Minuten zuvor. Eher etwas ermattet.
Ich fische die Infozettel, in denen es um Sodbrennen geht, aus seiner Jackentasche und lege sie auf die Rezeption. Felix sieht mir verdutzt dabei zu. Ich lächle ihn freundlich an und schiebe ihn zum Ausgang.
»Tschüs!«, rufe ich durch die immer noch leicht geöffnete Tür des Wartezimmers der Magenfrau zu.
»Tschüs! Alles Gute für Sie beide!«, ruft sie zurück. »So was Romantisches habe ich noch nie gesehen!«
Ich ignoriere ihre Fehlinterpretation.
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