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Himmel ueber fremdem Land

Himmel ueber fremdem Land

Titel: Himmel ueber fremdem Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Buechle
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von ihnen und ihren Söhnen!«
    Demy spürte die junge Frau neben sich vor Aufregung zittern. Sie selbst war einfach nur verwirrt. Sie verstand Lieselotte und ihre Ansichten gut, musste ihr in vielem zustimmen, dennoch missfiel ihr der aggressive Tonfall, mit dem sie die Worte förmlich ausspie. Mit einem Blick auf das gerötete Gesicht ihrer Begleiterin und in ihre kämpferisch blitzenden Augen beschloss Demy, ihr in Zukunft lieber nur noch schweigend zuzuhören.
    »Demy, stell dir vor«, plötzlich war Lieselottes Ton gemäßigter, beinahe sanft, »unser Schlafbursche, der Anton, hat eine Stelle als Assistent bei Linas Vater angenommen. Er zieht demnächst bei uns aus und bei Barnas ein. Sie haben eine Dachkammer, die sie ihm zur Verfügung stellen. Und dieser Professor Barna will ihm sogar das Physikstudium ermöglichen.«
    »Das ist ja wunderbar für Anton!«, erwiderte Demy und lächelte. Demnach war es Lina einmal mehr gelungen, ihren Willen durchzusetzen.
    »Ja, das ist ein Zeichen dafür, dass es zumindest in der Mittelschicht noch ein paar Menschen zwischen all den Ausbeutern und Halunken gibt. Oder dass bereits ein Umdenken auch in dieser Schicht stattfindet.«
    Demy seufzte laut auf, was ihre Freundin jedoch wenig beachtete. Nun ließ sie sich, wie so oft bei ihren Treffen, wütend über ihren erpresserischen Arbeitgeber aus.
    Die junge Niederländerin nahm das Erreichen des Zoologischen Gartens zum Anlass, sich von Lieselotte zu verabschieden. Sie ging ein paar Schritte und wandte sich dann um, um Liselotte so lange nachzusehen, bis sie hinter den ersten Bäumen des Parks aus ihrem Blick verschwand. Dabei schlich sich ein wehmütiger Schmerz in ihr Herz. Sie hatte Lieselotte als Freundin verloren! Zu sehr unterschieden sich ihre Lebens- und Anschauungsweisen. Lieselotte investierte all die ihr neben der Fabrikarbeit verbleibende Zeit und Kraft in den als radikal verschrienen Verein Frauenwohl , Demy hingegen war eigentlich noch zu jung, um sich über diese Themen den Kopf zu zerbrechen.
    Auf ihrem Heimweg in Richtung Schloss Charlottenburg hoffte und betete Demy, dass Lieselotte mithilfe ihrer neuen Bekanntschaften ihrem Lebenstraum näherkommen durfte und über die angeprangerten Missstände nicht bitter wurde oder gar ihr eigenes kleines Glück verpasste.
    ***
    Die bunte Färbung der Blätter an den Bäumen verriet trotz des herrlich warmen Sonnenscheins über Berlin, wie weit das Jahr bereits fortgeschritten war. Vogelschwärme zogen auf ihrem Weg in südliche Gefilde über die quirlige Stadt hinweg. Auf dem Fußweg der Schlossstraße lagen die ersten Kastanien und die grünen stachelbesetzten Schalenhälften knackten unter Demys Schuhen.
    Mit ihren Gedanken war das Mädchen jedoch weit fort. Die aufgerollte Berliner Neueste Nachrichten in der Hand grübelte sie über die Entwicklungen in der Welt nach, die der Zeitungsbursche lauthals auf dem Kurfürstendamm hinausgerufen hatte, sodass auch Demy ihm ein Exemplar abgekauft hatte, um die Artikel gleich Vorort zu lesen. Zwei Tage zuvor hatte Österreich-Ungarn die seit Ende der 1870-er Jahre besetzten eigentlich zum Osmanischen Reich 44 gehörenden Balkanländer Bosnien und Herzegowina annektiert und damit den Konflikt mit dem Königreich Serbien massiv verschärft. Russland, auf dessen Hilfe Serbien hoffte, ließ noch auf eine Reaktion warten.
    Zeitgleich hatte Fürst Ferdinand sich die Schwäche des Osmanischen Reichs zunutze gemacht, sich zum Zar von Bulgarien ausgerufen und die Unabhängigkeit des Landes erklärt. Nur einen Tag später, so verrieten die heutigen Schlagzeilen, schloss sich die unter dem Schutz der osmanischen Regierung stehende Insel Kreta dem Unabhängigkeitsbestreben Bulgariens an und verkündete ihren Anschluss an Griechenland. Es brodelte auf dem Balkan, und Österreich-Ungarn, der Bündnispartner des Deutschen Reiches, saß als Auslöser dieser Krise inmitten des von ihm angeheizten Hexenkessels 45 .
    Das tiefe, heiser klingende Hupen eines Automobils schreckte Demy auf. Mit gerümpfter Nase betrachtete sie das glänzende Schwarz von Hannes’ Fahrzeug. Es hielt entgegen der Fahrtrichtung am Straßenrand direkt neben ihr.
    »Hier steckst du! Charles sagte mir, du seiest bei der Familie Pfister, aber als ich dort eintraf, hieß es, du müsstest bereits zu Hause sein.«
    Verwirrt musterte Demy den jungen Kadetten. Er trug einen vornehmen schwarzen Frack, und die akkurat gebundene Krawatte über dem weißen gestärkten Hemd passte

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