Himmel ueber fremdem Land
Tanzen und zauste den beiden Kanarienvögeln, die ebenfalls verstummt waren, sanft durch das gelbe und graue Gefieder. Im Treppenhaus waren leise Schritte zu hören, doch niemand störte die drei Mädchen bei ihrem Kaffeeplausch.
»Ihr wisst, dass ich nur ungern Schlechtes über andere Menschen sage«, begann Margarete zögernd, was Demy dazu veranlasste, ihr freundlich zuzulächeln. Sie kannte keine sanftere und zarter besaitete Person als die hübsche Siebzehnjährige. Lina hob interessiert die Augenbrauen.
»Falls Demy auf alle von ihr aufgezählten Aspekte Rücksicht nehmen will, bleibt ihr nur noch darauf zu hoffen, dass Hannes eine respektable Lösung für das Problem einfällt. Und dabei sehe ich nur eine Möglichkeit: Er muss sich gegen die Pläne seines Vaters stellen und auf unnachgiebige Art seine Interessen und Wünsche durchsetzen.«
»Bis jetzt hast du nichts Schlechtes über eine Person geäußert, verehrte Margarete«, meinte Lina, die wohl, ebenso wie Demy selbst, das Ende von Margaretes Ausführungen fürchtete.
Margarete legte Demy ein weiteres Mal ihre Hand auf den Unterarm.
»Meine Familie und die Meindorffs … wir sehen uns nicht häufig, obwohl wir doch recht nah verwandt sind.«
Trotz der stehenden Wärme im Raum fröstelte Demy. Eine Gänsehaut breitete sich über ihre Arme aus.
»Hannes ist nicht der Mann, der seinem Vater widerspricht. Das hat nur Philippe getan, Joseph wagte es selten einmal und die beiden jüngeren Brüder versuchten es gar nicht erst. Rittmeister Meindorff ist ein Despot, wie er im Buche steht.«
Wieder kehrte Stille in dem Raum ein. Sie lastete schwerer noch als die schwülwarme Luft auf den drei Freundinnen.
»Heißt das, Demy muss sich zwischen zwei gleichermaßen unschönen Alternativen entscheiden?«, flüsterte Lina nach geraumer Zeit. »Zwischen der Offenlegung gut gehüteter Geheimnisse oder einer arrangierten Ehe?« Sie schwieg einen Augenblick und fuhr dann fort: »Im ersten Fall könnte Meindorff sie entweder aus dem Haus werfen oder ihr innerhalb von zwei Jahren einen neuen Heiratskandidaten suchen, um sie auf diese Weise aus dem Haus zu haben, nach Möglichkeit mit den jüngeren Geschwistern im Gepäck. Die zweite Alternative birgt sehr viel Potenzial für Leid und Schmerz … aber immerhin auch die Chance, dass die beiden einen gemeinsamen Weg finden.«
»Es gibt bestimmt noch eine andere Möglichkeit«, sagte Demy, doch es fiel ihr schwer zu glauben, was sie gerade selbst ausgesprochen hatte.
***
Höflich bedankte Demy sich bei Margarete für ihre Gastfreundschaft und ließ sich von Lina zum Abschied umarmen. Kaum war sie aus dem Haus auf den Kurfürstendamm getreten, entdeckte sie Lieselotte. Die Freundin stand abseits unter einer Ulme und winkte ihr, sie solle zu ihr herüberkommen.
Nur zögerlich folgte Demy der Aufforderung und musterte dabei Lieselottes veränderte Erscheinung. Sie trug zwar noch die übliche helle Bluse, allerdings steckte sie nicht in einem Rock, sondern in einer grauen Männerhose. Als noch weitaus bedauerlicher empfand Demy Liselottes neuen Haarschnitt: Ihr kräftiges, braunes Haar war kurz geschnitten und lockte sich etwas widerspenstig um ihre Ohren und in ihrem Nacken.
Einerseits erschrocken über Lieselottes herbes Aussehen, andererseits dankbar, zu dieser Abendstunde eine Begleitung an der Seite zu haben, hakte Demy sich bei ihrer Freundin unter. Gemeinsam schlenderten sie über den Kurfürstendamm in Richtung Tiergarten.
»Weshalb hast du deine Haare abgeschnitten? Und musst du die Hose jetzt bei der Arbeit tragen?«
Das Mädchen schaute Lieselotte arglos an, die jedoch ihren Arm aus dem Demys zog und sie mit einem verächtlichen Blick bedachte. »Mir gefällt es so. Ich zeige damit deutlich, dass ich mich nicht länger an herkömmliche, veraltete und uns Frauen unterdrückende Vorgaben halte. Wer darf uns vorschreiben, dass wir aufwendige und komplizierte Frisuren oder unpraktische, ja diskriminierende Kleidung zu tragen haben?«
»Ich finde es schade um deine wunderschönen Haare. Sind sie nicht der Schmuck einer Frau? Und in dieser Hose siehst du so … so maskulin aus, nicht ein bisschen weiblich.«
»Schwächlich und schutzbedürftig meinst du wohl. Dieser ganze Tand zielt doch nur darauf ab, schnellstmöglich in einem Ehegefängnis zu landen. Ich strebe die ökonomische Unabhängigkeit vom Mann an. Die Sklaverei der Frau muss endlich ein Ende finden. Und dazu gehören auch aufgezwungene
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