Himmel ueber fremdem Land
einflussreich zu sein und über exzellente Verbindungen zu verfügen, sodass dieses Anliegen womöglich gar kein Problem darstellte. Falls sich die Dinge dramatisch schlecht für sie entwickelten, würde sie einfach heimlich die Flucht antreten. Immerhin hatte sie bei Hannes noch etwas gut. Er konnte ihr dabei helfen, Fahrkarten zu besorgen, ihr Gepäck aufgeben …
Erleichtert über diese Möglichkeit lächelte Demy befreit vor sich hin, lehnte sich in den harten Sitz des Daimlers zurück und nahm sich fest vor, Anki noch am gleichen Tag einmal wieder zu schreiben.
Sie schwieg auf dem gesamten Weg nach Groß-Lichterfelde, den Strohhut mit einer Hand auf ihr Haar gepresst, mit der anderen hielt sie sich an der Tür fest. Ihre Hoffnung aber klammerte sich an die soeben gesponnenen Pläne.
Kapitel 39
Windhuk, Deutsch-Südwestafrika,
September 1908
Geräusche wie das Auftreten schwerer Stiefel auf einem Holzboden, das Knarren eines Stuhls und das Abstellen eines massiven Gegenstandes drangen zu ihm durch. Sein Kopf schmerzte und fühlte sich eigenartig leer an, während ihm seine Gliedmaßen bleischwer und unbeweglich vorkamen.
Eine Stimme, eigentümlich vertraut und doch fremd zugleich, erzählte ihm in verhaltener Lautstärke, dass das größte von Graf Zeppelin erbaute Luftschiff LZ4 bei der Zwischenlandung in Echterdingen bei Stuttgart nach einem 24-Stunden-Flug von einem Windstoß erfasst und durch die folgende Gasexplosion zerstört worden war.
Philippe reagierte nicht. Er wusste von dieser Geschichte. Seltsam, dass er sich an das Zeppelinunglück, nicht aber an die Stimme erinnern konnte, die ihm beinahe enthusiastisch davon berichtete. Er runzelte die Stirn und versuchte, genauer hinzuhören.
»… Wilhelm Voigt, Sie erinnern sich sicher an ihn, dieser Kerl, der sich in Köpenick als Hauptmann ausgab?« Der Erzähler legte eine kurze Pause ein, als warte er auf eine Reaktion, fuhr dann aber fort: »Er stürmte das Rathaus, setzte den Bürgermeister fest und raubte die Staatskasse aus.« Wieder entstand eine Pause. Etwas knarrte, als beuge die Person sich auf einem alten Stuhl nach vorn. Wollte der Mann feststellen, ob er wach war und ihm auch wirklich zuhöre?
»Er wurde vorzeitig aus der Haft entlassen und verkauft jetzt Postkarten, auf denen er als Hauptmann verkleidet zu sehen ist. Diese Preußen sind schon spleenig!« Der Sprecher kicherte in sich hinein, ehe er fortfuhr: »Was könnte Sie denn noch interessieren, Herr Leutnant? Sie sind jung. Vielleicht gefällt Ihnen zu hören, dass in einem Pariser Kino ein gezeichneter Film lief. Er setzt sich aus zweitausend Einzelbildern zusammen und dauert ganze zwei Minuten.«
Die Orientierungslosigkeit, derer Philippe sich zunehmend bewusst wurde, machte ihm Angst. Er wusste weder wo er war und weshalb er hier lag, noch wer diese plappernde Person neben ihm sein mochte. Mühsam versuchte er seine Augen zu öffnen, was ihm nicht eben leichtfiel. Im ersten Moment sah er nur einen hellen Schleier, der schnell verschwand und ihm den Blick auf ein spartanisch eingerichtetes winziges Zimmer bot. Ein Tisch, ein schmales Regal, eine Kleidertruhe und sein Bett, für mehr bot der Raum keinen Platz.
Sein Blick wanderte zurück zum Tisch. Auf diesem stand eine brennende Karbidlampe, daneben lag ein aufgeschlagenes dickes Buch.
»Sie sind wach?«
Auf diese Frage hin runzelte Philippe die Stirn. Er sah den Sprecher nicht, da der sich am Kopfende befand. Vermutlich hatte er sich dort auf einem Stuhl niedergelassen.
Sein Besucher erhob sich und trat vor sein Bett. Hinter einem gepflegten Vollbart erkannte er ein freundliches Lächeln.
»Herr Walther«, murmelte Philippe und seine trockene, angeschwollene Zunge formte die Worte nur widerstrebend. Ohne irgendeine Vorwarnung drängten sich ihm die Erinnerungen an die Ereignisse vor dem Waisenhaus auf. Allzu deutliche Bilder von der Explosion, der in den Nachthimmel züngelnden Flammen, dem aus dem Fenster quellenden Rauch und den Schüssen auf die fliehenden Kinder ließen ihn erbeben.
»Udako?« Was eigentlich ein verzweifelter Aufschrei sein sollte, wurde nicht mehr als ein heiseres Flüstern.
Der Missionar griff mit beiden Händen in Höhe seiner Oberschenkel in den Stoff seiner Hose, zog seine Hosenbeine ein kleines bisschen hoch und kniete sich vor Philippes Bett. Er sagte langsam und leise: »Udako darf jetzt sehen und erleben, was sie geglaubt hat, Herr Leutnant. In der Nacht des Überfalls wurde sie schwer
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