Himmel ueber fremdem Land
einer ihm unbekannten Familie verbringen.
Jakow nahm dem Paar die Mäntel ab und reichte sie Nadezhda. Mit einer Verbeugung bat er die Gäste, ihm zu folgen und geleitete sie zu Ankis Belustigung in den Speisesaal. Der Tisch war mit einer weißen Damastdecke und edlem Geschirr gedeckt, sogar die Kristallgläser funkelten im Licht der auf dem Tisch aufgestellten Kerzen.
Jakow ließ es sich nicht nehmen, beiden Damen die Stühle zurechtzurücken. Nachdem der Butler sich zurückgezogen hatte, beugte Tilla sich zu Anki hinüber, legte ihre Hand auf die ihre und flüsterte: »Du wirst ja wie die Fürstin persönlich behandelt. Kein Wunder, dass es dir hier so gut gefällt.«
Ehe Anki antworten konnte, trugen zwei Diener eine reichhaltige Mahlzeit aus Wildbret, Reis und Gemüse auf, dazu einen exquisiten Krimwein. Etwas verwirrt aufgrund des Aufhebens, das um sie und ihre Gäste gemacht wurde, sah Anki den im Hintergrund wartenden Jakow fragend an. Der Mann nickte ihr zu, was wohl signalisieren sollte, dass alles seine Richtigkeit besaß und mit Fürstin Chabenski abgesprochen, vielleicht sogar von ihr persönlich in Auftrag gegeben worden war.
»Schau, Joseph, hier wären wir sehr wohl angemessen untergekommen«, raunte Tilla in Richtung ihres Mannes. Er setzte daraufhin das Glas mit dem tiefroten Wein wieder ab, ohne ihn gekostet zu haben, und warf ihr einen eigentümlichen Blick zu. Anki vermochte diesen nicht zu deuten – und wollte es auch nicht. Leicht irritiert widmete sie sich ihrer Mahlzeit, wobei das anhaltende Schweigen es ihr nicht einfach machte, die vorzüglich zubereiteten Speisen zu genießen. Tilla und sie hatten sich viele Monate nicht gesehen, Grund genug, dass die Schwestern sich angeregt über ihre sicher sehr unterschiedlichen Erlebnisse unterhielten. Doch in Gegenwart des steifen, streng wirkenden Joseph fühlte Anki sich nicht frei, über Persönliches zu plaudern, und auch Tilla schien in derselben Weise gehemmt zu sein.
Fieberhaft suchte Anki nach einem unverfänglichen Gesprächsthema und fragte schließlich, als das Schweigen nahezu unerträglich geworden war: »Hast du dich in deiner neuen Heimat Berlin bereits gut eingelebt? Und wie geht es Demy? Ich war erstaunt, als ich hörte, dass sie dich begleitet. Mir war nicht bewusst, wie schnell sie erwachsen geworden ist.«
»Für mich ist es wunderbar, eine meiner Schwestern als Vertraute um mich zu haben, und Demy bieten sich durch dieses Arrangement hervorragende Zukunftschancen. Sie kann am gesellschaftlichen Leben Berlins teilnehmen und in naher Zukunft einen geeigneten Ehemann finden. Zudem erhält sie eine fundierte Ausbildung. Diese versetzt sie in die Lage, später als Gouvernante einen ehrbaren, angesehenen Beruf auszuüben, falls sie, was wir ja nicht annehmen wollen, ledig bleiben sollte. Übrigens habe ich einen Brief von ihr an dich dabei.«
Anki wagte nur ein Nicken. Ihre Fragen blieben im Grunde unbeantwortet, zumal sie sich mit dem Wissen, weshalb Tilla sie damals mit den Chabenskis mitgeschickt hatte, noch immer schwer tat. War Demy aus demselben Grund so früh aus ihrer Heimat fortgerissen worden? Nach Ankis Dafürhalten passte Demy überhaupt nicht in die ihr zugewiesene Rolle, was ihren Verdacht erhärtete.
Bis auf eine reichlich stockende, oberflächliche Unterhaltung verlief die Mahlzeit ausgesprochen still, allerdings in unangenehm kühler Atmosphäre. Zuerst war Anki erfreut über die Aussicht gewesen, ihre Schwester und ihren Schwager an diesem Abend für sich allein zu haben, doch nun wünschte sie sich immer dringender ihre Arbeitgeberin, besser noch die Mädchen herbei. Sie war erleichtert, als Joseph unmittelbar nach dem Nachtisch und einem abschließenden Wodka erklärte, dass er und Tilla müde seien und sich in ihr Hotel zurückzuziehen wünschten. Er schlug vor, seine Frau am darauffolgenden Morgen zum Haus der Chabenskis zu bringen, damit die Schwestern den Tag gemeinsam verbringen konnten, während er seinen Interessen nachging.
Tilla stimmte diesem Vorschlag begeistert zu, und so nickte auch Anki, obwohl sie am nächsten Tag einen Großteil ihrer Zeit mit den Töchtern der Chabenskis verbringen würde. Aber wenn das wechselhafte Maiwetter mitspielte, wollten sie den ersten Ausflug dieses Jahres zum Sommergarten unternehmen. Im ältesten und schönsten Park der Stadt konnten die Mädchen sich nach Herzenslust austoben und sie hoffentlich etwas inniger mit Tilla plaudern.
Wenige Augenblicke später
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