Himmel ueber fremdem Land
beobachtete Anki, wie Jakow das Paar unter seinem aufgespannten Schirm zu einer herbeigewinkten Droschke geleitete. Joseph wollte seiner Frau galant die Hand als Hilfe bieten, doch sie wich seiner Bewegung aus und ließ sich von dem Kutscher in das Gefährt helfen.
Die junge Frau unter dem schützenden Vordach runzelte die Stirn. Ihrem Empfinden nach war das Verhältnis der beiden ausgesprochen angespannt, sie hoffte aber, dass dies nur eine vorübergehende Zwistigkeit des jungvermählten Paares war.
Kapitel 21
Berlin, Deutsches Reich,
Mai 1908
Preußische Akropolis . Demy gab Margarete, die ihr die Museumsinsel mit diesen Worten beschrieben hatte, uneingeschränkt recht. Sie, Margarete und Lina schlenderten vom Neuen Museum zu dem erhöhten Sockel und der ausladenden Treppe der Nationalgalerie hinüber, wobei ihr Blick auf die freie, teilweise noch mit Bauschutt übersäte Fläche gleich hinter dem Neuen Museum fiel.
»Da stand bis vor Kurzem noch das Pergamonmuseum. Es ist 1902 eröffnet und dieses Jahr bereits wieder abgerissen worden. Der schwere Bau auf dem sumpfigen Boden machte Probleme. Aber ein neues Gebäude ist in Planung«, wusste Margarete zu berichten.
Lina drehte ihren gelben mit Spitze geschmückten Sonnenschirm über ihrem Kopf und schlenderte vergnügt zu den quadratischen Mauerdurchlässen des Säulengangs am Spreeufer. »Kommt, wir wollten Demy doch die Stadt zeigen und nicht hier Stunden verbringen.«
»Das ist ein Teil der Stadt«, belehrte Margarete ihre ungeduldige Freundin gutmütig.
Demy, die gern das Innere der Museen gesehen hätte, nahm sich einen Besuch für die nächsten Tage vor. Jetzt folgte sie erst einmal Margarete und Lina über den Kupfergraben und von dort die Straße entlang in Richtung Unter den Linden. Für heute standen noch der Dom und der Lustgarten auf ihrem Programm, zuerst aber führte Margarete sie in ein Restaurant.
Demy aß nur wenig und blickte aus dem Fenster auf die Straße hinaus. Für einen kleinen Moment glaubte sie Lieselotte unter den Passanten entdeckt zu haben, aber entweder hatte sie sich getäuscht oder das Mädchen war blitzschnell zwischen den dröhnenden Autos, Straßenbahnen, Pferdefuhrwerken und Fußgängern verschwunden.
In der vergangenen Woche hatte sie Lieselotte zweimal getroffen, in dieser Woche war ihnen ein Treffen nicht möglich gewesen. Ihre Vermutung, dass Lieselotte inzwischen ebenso wie ihre Mutter in einer der Fabriken arbeitete, hatte sich bestätigt. Sie hatte nun weitaus weniger Zeit, ihre Freundschaft zu pflegen, zumal Demy Herrn Scheffler nicht ein zweites Mal gegenübertreten wollte und daher auf einem Treffpunkt außerhalb des Scheunenviertels bestand.
Einer spontanen Eingebung folgend fragte sie: »Was würdet ihr davon halten, wenn ich euch eine Freundin aus dem Scheunenviertel vorstelle?«
Margarete stellte das feine Kristallglas zurück auf die Damasttischdecke, deren eingewebtes Blumenmuster nur im Gegenlicht des Fensters sichtbar war. Aus großen Augen schaute sie Demy beinahe vorwurfsvoll an. Lina kicherte über ihren entsetzten Blick, wandte sich dann aber an Demy.
»Du weißt kaum etwas von Berlin, aber das Scheunenviertel kennst du? Demy, du bist ein Mensch umgeben von unzähligen Rätseln und Geheimnissen!«, dramatisierte sie.
»Ja, wie die Figuren aus unseren Büchern, nicht?«, stimmte Margarete leise zu.
Die Professorentochter beugte sich über den Tisch zu Demy hinüber. Ihre blauen Augen funkelten übermütig. »Verrate sie uns, deine Geheimnisse, unbekannte Fremde. Wer bist du wirklich? Wo kommst du her? Was hat dich in diese Stadt getrieben?«
Die beiden Berlinerinnen brachen in Gelächter aus, und Demy fiel mit ein, wenngleich ein kleiner Stich ihr Herz durchbohrte. Sie war ihren neuen Bekannten gegenüber nicht ehrlich gewesen, was ihr Alter betraf, Lieselotte hatte sie ihre verwandtschaftliche Beziehung zu Tilla verschwiegen, selbst die Familie Meindorff ahnte nicht im Entferntesten, dass sie und ihre Schwester aus einem inzwischen vollkommen verarmten und bedeutungslos gewordenen Haus stammten. Zwar hatte sie nie bewusst eine Lüge ausgesprochen, doch die Heimlichkeiten um ihre Person machten ihr mehr zu schaffen, als sie dies vor Beginn ihrer Versteckspielchen geahnt hatte.
Während sie noch ihren unangenehmen Überlegungen nachhing, winkte Margarete einen Kellner herbei und ließ die Mahlzeit auf die Rechnung ihres Vaters schreiben. Der Kellner verneigte sich tief, bedankte sich für den
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