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Stirb mit mir: Roman (German Edition)

Stirb mit mir: Roman (German Edition)

Titel: Stirb mit mir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Dugdall
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Eins
    Auf diesem Bahnhof hielten die Züge zum letzten Mal. Hier war Endstation.
    Kurz nach neun Uhr abends wartete ich auf die Einfahrt des letzten Zuges. Der Wind frischte auf. Ich zog meine Jacke enger um mich und stellte den Kragen auf. Ich war allein auf dem Bahnsteig, der im Grunde nur ein lang gezogener Unterstand war. Es gab kein Café, nicht einmal einen Automaten mit Süßigkeiten, nur eine Bank und einen Fahrplan unter einer gesprungenen Scheibe aus Plexiglas, die an die Mauer aus bröckelndem Ziegelstein geschraubt war. Ich stand an der Bahnsteigkante, sah nach unten, und wie es Menschen auf Bahnsteigen mitunter ergeht, musste ich mich gegen den Drang zu springen wehren. Auf den Gleisen lagen weggeworfene Getränkedosen und leere Hüllen aus Zellophan – der Abfall all jener, die hier vor mir auf Züge gewartet hatten. Wie eine Schauspielerin am Rand einer unbeleuchteten Bühne stand ich voller Anspannung da, denn bald würden sich die Zuschauer einfinden. Der Wind steigerte sich zu Böen. Ich drehte das Gesicht von ihm fort und spähte an den Gleisen entlang in den dunklen Tunnel hinein. Zuerst würden die Lichter kommen, dann das Geratter. Dann er.
    Ich warf einen Blick auf meine Uhr. Sieben Minuten nach neun. Noch acht Minuten. Nicht mehr lange. Zu lange. Ich stampfte mit den Füßen, war vor Nervosität ganz kribbelig, ballte die Hände in den Jackentaschen zu Fäusten und löste sie wieder. Beim Gedanken an das, was mich erwartete, durchfuhr mich auch innerlich Kälte. Ich wusste nicht, wie er aussah. Ich hatte zwar ein Bild von ihm, aber wie oft verwenden die Menschen schon ein Foto von sich, das die Wahrheit verrät? Da ich attraktiv war, musste ich keine schmeichelhafte Version von mir präsentieren, und trotzdem war das Foto, das ich ihm geschickt hatte, eine Lüge: Mein Haar wirkte im Sonnenschein zu hell, das Licht glättete meine Gesichtszüge, ich lächelte jemandem außerhalb des Bildes zu. Ich machte einen unbeschwerten Eindruck. Im Nachhinein bereute ich es, ihm dieses Foto geschickt zu haben, und dachte, ich hätte ihn unter Vorspiegelung falscher Tatsachen angelockt. Ich sorgte mich, dass er enttäuscht sein würde, wenn er feststellte, dass ich nicht so frohgemut war, wie es auf dem Foto den Anschein hatte. Das ist einer der Vorteile von Begegnungen im Cyberspace, dort kann man seine Neurosen verbergen.
    Ich versuchte, mich zu entspannen, schließlich hatte er mich auserkoren. Er sagte, die Auswahl sei beträchtlich gewesen; auf seine Annonce hatten sich mehr Bewerberinnen gemeldet als erwartet. Ich schaute in den dunklen Himmel und dachte an all die anderen Frauen da draußen in der Welt, die das Gleiche suchten wie ich. Ich war also nicht die Einzige mit dieser Sehnsucht.
    Halt. Ich bin zu schnell. Ehe er eintrifft, muss noch eine andere Geschichte erzählt werden.
    Es wird Menschen geben, die über mich richten wollen. Unter ihnen werden Sachverständige sein, die verlangen, dass ich ihnen meine Geschichte erzähle. Doch meine Tat wird mich überleben, ganz gleich, welche Schlüsse sie mithilfe ihres konventionellen Denkens und ihrer mittelmäßigen Erwartungen an die Liebe ziehen. Die Zeit allein wird zeigen, was richtig war. Meine Geschichte können sie mir jedenfalls nicht nehmen, ich werde ihnen nicht trauen. Und jetzt habe ich Sie ausgewählt. Sie werden mir zuhören. Sie sind mein Richter und damit jene Instanz, die das Urteil fällt. Wir haben noch Zeit, ehe der Zug einfährt.
     
            
     
    Mein Internetname lautete Robin, das heißt auf Englisch Rotkehlchen, und stand daher einerseits für den Vogel und andererseits für die amerikanischen Cheerleader mit vom Tennisspielen gebräunten Beinen und blondem Haar, an die ich denken musste. Gesunde Menschen eben. Als Robin funkelte meine Welt in neuem Glanz, und ich konnte einiges anders machen. Ich konnte eine andere sein.
    Auf der Website benutzten wir unsere richtigen Namen nicht. Das war Teil der stillen Übereinkunft. Abgesehen davon stammten die echten Namen von unseren Eltern, wohingegen die virtuellen, die wir wählten, eine größere Wahrheit enthüllten. Das gefiel mir. Er war Mr   Smith.
    Für mich klang Smith wunderbar anonym. Ein Jedermann. Ich suchte weder nach Einzigartigkeit noch nach Ausgefallenem, sondern vielmehr nach dem Mittelmäßigen, einen Durchschnittstypen, der sich in der Menge verlor. Ich wollte einen Mann mit einem Schreibtischjob, der Fertiggerichte aus der Mikrowelle aß und über die

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