Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmel ueber fremdem Land

Himmel ueber fremdem Land

Titel: Himmel ueber fremdem Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Buechle
Vom Netzwerk:
andere Kinder, darunter auch ein Mädchen und ein deutlich älterer Bursche, umringten mich. Ich versuchte mich zu wehren, doch mein Kopf schmerzte grässlich und ich hatte keine Ahnung, wohin ich mich wenden sollte. Also gab ich ihnen, was sie begehrten, nämlich meine Handtasche. Daraufhin stürmten sie davon und ließen mich zurück.«
    Bedrücktes Schweigen senkte sich über die Freundinnen. Während Demy noch immer reglos zum Fenster hinausstarrte, streichelte Margarete die Hand von Lina, die sich jetzt wieder in ihrem Bett zurücklegte und erschöpft die Augen schloss.
    »Aber weshalb hast du das alles dem Wachtmeister verschwiegen?«, flüsterte Margarete irgendwann in die Stille hinein.
    Den Kopf leicht geneigt drehte Demy sich um und betrachtete die beiden Freundinnen. Konnte Margarete die Antwort denn nicht selbst erraten? »Diese Kinder waren alle so hohlwangig, sahen schauderhaft vernachlässigt und zugleich furchtbar hart aus. Ich musste an Demys kleinen Nathanael und seine Mutter denken. Wissen wir, wie viele von diesen verzweifelten Menschen da draußen in den Straßen dieser Stadt leben? Sie hungern, frieren, ohne eine Chance auf ein halbwegs menschenwürdiges Dasein. So auch diese Kinder, die mich angriffen. Vergessene Kinder! Wie könnte ich ihnen einen Vorwurf machen? Wie sollte ich ihnen die Polizei auf den Hals hetzen? Vielmehr beschloss ich, nicht mehr nur zu reden, sondern endlich etwas zu tun. Wie oft sprachen wir darüber, dass wir nach dem Säugling sehen wollten, dem Demy das Leben gerettet hat? Aber sind wir auch nur einmal bei ihm gewesen?«
    »Ich war dort«, sagte Demy leise, woraufhin ihre Freundinnen ihr erstaunt die Köpfe zuwandten. »Aber ich habe das Säuglingsheim nicht betreten. Dort gibt es eine Pforte, und ich fürchtete mich, meinen Namen und meine Adresse anzugeben. In den letzten Wochen habe ich genug unschöne Gespräche mit dem Herrn Rittmeister Meindorff geführt. Sollte er erfahren, dass ich nach dem Findelkind schauen wollte, könnte das erneut eine Auseinandersetzung nach sich ziehen.«
    »Du bist doch sonst nicht so ängstlich«, platzte Lina heraus.
    »Das bin ich auch nicht. Aber ich fühle mich im Hause der Meindorffs so allein. Zudem macht mir dieser Mann doch ein bisschen Angst. Auch möchte ich vermeiden, dass mein Fehlverhalten später auf Tilla zurückfällt; immerhin hat sie mich nach Berlin gebracht, sorgt für meine Ausbildung und ist nun ein Mitglied dieser Familie.«
    »Da hat Demy nicht unrecht«, murmelte Margarete, hob die Augenbrauen und richtete sich auf. »Ich denke, wir müssen das Problem anders angehen. Meinen Eltern gefällt es mit Sicherheit auch nicht, wenn ich mich in diesem Waisenhaus zeige. Doch wenn wir die Einrichtung offiziell finanziell unterstützen und ehrenamtliche Hilfe leisten, rücken deine Besuche bei Nathanael in ein völlig anderes Licht.«
    »Der Gedanke ist gut«, sinnierte Lina mit wieder geschlossenen Augen.
    »Der Haken ist nur, dass ich kaum über Geld verfüge«, wandte Demy beschämt ein, was Margarete veranlasste, aufzustehen und neben sie an die Fensterfront zu treten.
    »Wir werden diese Unterstützung über den Lesezirkel organisieren. Unsere Freundin, Klaudia Groß, liebt Kinder über alles. Sie wird sich ebenso für diese Pläne einsetzen wie auch Adele und Frau Cronberg. Wir verkehren alle in einem Bekanntenkreis mit durchaus ansehnlichem Lebensstandard. Dabei denke ich ferner an die Ehnsteins, Ahlespergs und den Herrn Willmann. Spendet einer von ihnen, wird es die Eitelkeit der andern Familien nicht zulassen, hintenanzustehen. Mal sehen, vielleicht können wir ihnen sogar den einen oder anderen der erst im Februar dieses Jahres herausgekommenen blauen Hundert-Mark-Scheine entlocken?«
    Ohne eine Falte auf der Nase, dafür mit großen Augen, nickte Demy begeistert. Die Aussicht, sogar ihre bei den Meindorffs überaus geschätzte Gouvernante mit im Boot zu haben, ganz abgesehen von Namen wie Ahlesperg und Ehnstein, gab Margaretes Vorschlag einen absolut seriösen Anstrich.
    »Fein, das wäre also geklärt«, sagte Lina und legte sich schmerzvoll seufzend einen Arm über die Augen.
    Ohne einer Absprache zu bedürfen verließen Margarete und Demy leise deren Zimmer.
    ***
    Die braunen Flügel weit gespreizt glitt der Bussard über die Wiese, schwenkte herum und flog in einem Bogen in Richtung Waldrand, um von dort erneut in Hannes’ Richtung zu drehen. Bei diesem Manöver verlor er deutlich an Höhe, sodass er nur

Weitere Kostenlose Bücher