Himmel ueber fremdem Land
zurückhaltend, so ganz wagte sie es noch immer nicht, die geforderte unterwürfige Haltung aufzugeben.
Nach wie vor in ihre Überlegungen versunken nickte Demy.
»Maria hat nie eigene Kinder gehabt, was im Hinblick auf den frühen Tod ihres Mannes vermutlich nicht so schlecht war. Als Witwe, vor allem da kein Vermögen vorhanden war, stand sie lange Zeit auf der Schattenseite des Lebens. Erst die Anstellung hier, die ihr Frau Cronberg vermittelte, half ihr, auf die Beine zu kommen. Sie liebt Kinder.«
Demy konnte ihr Glück kaum fassen und fragte sich, weshalb sie nicht selbst darauf gekommen war. Maria hatte sich mit so viel Hingabe um den kleinen Findling Nathanael gekümmert, bevor der Kutscher Bruno ihn ins Heim brachte. In ihr würde sie womöglich eine zweite Verbündete finden, wenngleich ihr der Kontakt zu den Bediensteten eigentlich untersagt war. Diesen warnenden Gedanken schob Demy erfolgreich beiseite. Sie wollte Maria zumindest fragen, was für ein Kleinkind mit Fieber und Husten getan werden konnte!
»Ich gehe sofort zu ihr!«, entschied sie in ihrem üblichen Überschwang, sprang auf, raffte ihren Rock in die Höhe und rannte über die Wiese zum Haus.
***
Mit schwingendem Kleid eilte Demy durch den düsteren Torgang, bevor sie sich ungeduldig nach Maria umsah. Die Haushälterin der Meindorffs keuchte, als sie endlich den Hinterhof erreichte. Sie hatte einiges an Körperfülle mit sich herumzuschleppen, seit sie als Herrin über den Haushalt der Meindorffs nicht mehr tagtäglich viele Male durch die Flure und die Treppenhäuser lief, sondern andere anwies, dies zu tun. Aus diesem Grund war es um ihre Kondition nicht eben bestens bestellt.
Das Mädchen ließ der älteren Frau Zeit, wieder zu Atem zu kommen.
»Meine Güte, Fräulein van Campen. Sollte der Herr Rittmeister je erfahren, wo Sie sich herumtreiben …!«, japste Maria, und die Andeutung genügte, um Demy einen unangenehmen Schauer über den Rücken zu jagen. Meindorffs Zorn würde fürchterlich sein, wenn er erfuhr, wozu sie die Haushälterin da verleitete. Und wie er erst reagieren würde, wenn zu ihm durchdrang, dass Maria die eventuell benötigten Pflegeutensilien kurzerhand aus den gut gefüllten Vorratskellern der Meindorffs entnommen hatte, darunter ein Huhn für eine kräftigende Brühe und eine Flasche guten Rotweins … das wagte sich Demy nicht auszumalen.
»Jetzt geht es wieder«, schnaufte die Frau und winkte mit der Hand, um Demy dazu aufzufordern, dass sie weiterging. Diese blickte sich beunruhigt nach Lieselottes Vater um, ehe sie gemeinsam mit Maria den mit Gerümpel zugestellten muffigen Flur betrat.
»Kein gutes Umfeld für Kinder«, hörte sie die Frau unwillig murmeln.
Mit den Händen voraus tastete Demy durch den Korridor, immer in der Furcht, über etwas zu stolpern. Als sie den hinteren Teil erreichten, warf sie einen misstrauischen Blick auf die geschlossene Tür, aus der damals diese Julia Romeike getreten war. Eilig wandte sie sich nach links und klopfte gegen die derb gezimmerte Holztür.
Als sei dies ein Signal für Helene gewesen, drang ein trockener, bellender Husten zu ihnen hinaus. Es dauerte lange, bis das Mädchen sich beruhigt hatte, wobei Demy dieses eigenartige, fast wie ein Seufzen klingende Atemgeräusch gegen Ende der Hustenphase am Schmerzlichsten fand.
»Das hört sich nach Stickhusten an«, murmelte Maria und hämmerte nun ihrerseits kräftig an die Tür. Weitere Minuten vergingen, bis ihnen endlich ein winziger Spalt geöffnet wurde. Demy erkannte einen der Zwillinge, und sein Lächeln verriet, dass es sich um den zugänglicheren von ihnen handelte.
»Dürfen wir bitte eintreten, Willi? Frau Degenhardt möchte gerne nach Helene sehen.«
»Ist sie eine Ärztin? Es war schon ein Herr Doktor da.«
»Nein, Willi. Aber ihr Mann war Arzt. Sie weiß über viele Erkrankungen gut Bescheid und möchte helfen.«
Der Bursche zögerte noch immer, die Tür freizugeben, was Demy ihm nicht verdenken konnte. In den Gassen dieses Stadtteils trieb sich allerhand zwielichtiges Gesindel herum. Also ging Demy in die Hocke und raunte ihm zu: »Du kennst mich doch. Und es kostet auch nichts.«
»Peter und ich sind allein da. Vater hat uns verboten, jemanden reinzulassen.«
Doch noch während er die Worte aussprach, trat Willi zurück. Letztendlich überließ er es Demy, die Tür aufzustoßen.
Maria trat noch vor dem Mädchen in die klamme, dunkle Wohnung. Die kleine Helene lag auf dem Sofa hinter dem
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