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Himmel ueber fremdem Land

Himmel ueber fremdem Land

Titel: Himmel ueber fremdem Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Buechle
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Wenn er das Lied kannte, nahm sie an, dass es Helene ebenfalls vertraut war.
    Noch immer beide Hände der Kleinen umfassend legte Demy nun den Kopf auf die harte Kante des Möbelstücks, um Peter anzuschauen. Der verschüchterte Junge kauerte nahe bei ihr und ließ seine Schwester nicht aus den Augen, in denen tiefer Schmerz zu lesen war.
    Als Demy bemerkte, dass der nächste Hustenanfall ausblieb, hob sie den Kopf.
    Helenes Gesicht war fahl und ihre vollen Lippen farblos. Ihre Brust hob und senkte sich nicht mehr.
    Fragend ging Demys Blick zu Maria, die ihr mit feucht schimmernden Augen zunickte, um ihre unausgesprochene Frage zu beantworten. Das kleine Mädchen war tot. Gestorben, so hoffte Demy, mit den tröstlichen Worten im Ohr, dass sie in eine andere, bessere Welt hinübergeführt würde.
    Behutsam legte Demy Peter eine Hand auf den Arm. Der Junge zuckte unter ihrer Berührung erschrocken zusammen, und bevor das Mädchen ihm mitteilen konnte, dass Helenes Kampf vorbei sei, stieß die Eingangstür gegen die an der Wand lehnende Matratze.
    Lieselotte stürmte herein, gefolgt von ihrer Mutter und einem älteren Herrn mit einer verkratzten Arzttasche unter dem Arm.
    »Demy?« Aus weit aufgerissenen Augen schaute die Freundin sie verwirrt an, aber Maria brachte die Situation sofort unter Kontrolle. Sie stellte sich in knappen Sätzen vor und teilte der verstörten Mutter mit, dass ihre Tochter soeben verstorben sei.
    Ihre Worte mochten noch so sorgfältig gewählt sein, in Lisa Schefflers Gesicht spiegelten sich innerhalb eines einzigen Augenblicks zuerst Selbstvorwürfe, dann Entsetzen und schließlich abgrundtiefe Verzweiflung wider. »Nein!«, stieß sie aus. Mit schnellen Schritten eilte sie zur Couch.
    Um ihren Platz freizumachen, sprang Demy eilends auf. Die magere, verbraucht wirkende Frau, deren Haar in ihren noch jungen Jahren bereits mit Silbersträhnen durchzogen war, warf sich auf die Knie und zog ihre Tochter in ihre Arme.
    Während Maria mit dem Arzt sprach, offenbar kannten die beiden sich, packte Lieselotte Demy derb am Arm und zerrte sie herum. »Was machst du mit dieser Fremden hier?«
    »Wir wollten helfen. Leider konnten wir nichts mehr tun, außer mit Helene zu beten und bei ihr zu sein.«
    »Das wäre Mutters Aufgabe gewesen!«, herrschte Lieselotte sie an, ließ sie los und trat mit dem Fuß gegen den erkalteten Ofen, was einen dumpfen, metallischen Ton hervorbrachte.
    Überrascht von Lieselottes Zorn wich Demy bis an die offen stehende Eingangstür zurück. Sie ahnte, dass dieser Ausbruch weniger mit ihr zu tun hatte als mit dem Schmerz, den ihre Freundin empfand und der irgendein Ventil brauchte.
    »Es ist so ungerecht! So ungerecht!«, stieß Lieselotte aus. »Wenn die Tochter einer Familie aus adeligem oder gutbürgerlichem Haus nur einen Schnupfen hat, versammeln sich Ärzte, Krankenschwestern und wer weiß ich noch alles. Aber hier …« Wütend hob sie die Hände, als wolle sie den ärmlichen, feuchten Raum in einer Bewegung umfassen, dann schüttelte sie resigniert den Kopf und verschwand hinter dem Vorhang. Leises Murmeln drang von dort bis in die Wohnküche. Offensichtlich versuchte der Schlafbursche, das aufgelöste Mädchen zu trösten.
    Ein Geräusch hinter ihr ließ Demy herumfahren. Julia Romeike, zurechtgemacht, als ginge sie auf einen Ball, war neben sie getreten und spähte in die Scheffler-Wohnung. »Ist etwas passiert?«, fragte sie mit ihrer melodiösen Stimme.
    Demy zuckte knapp mit den Schultern. »Das kleine Mädchen ist gestorben.«
    »War sie es, die so gehustet hat? Das arme Kind.« Die Frau warf einen bekümmerten Blick in die ärmliche Behausung ihrer Nachbarwohnung, drehte sich dann um und stolzierte davon.
    Noch verwirrter als zuvor blickte Demy Maria entgegen, die das Zimmer verließ, sorgsam die Tür schloss und ihr mit einer Hand ein Zeichen gab, dass sie den Heimweg antreten würden. Die Tees und die sauberen Tücher, ebenso wie die frische Bettwäsche hatte sie mit dem Huhn und dem Rotwein auf dem Küchentisch zurückgelassen.
    Hintereinander tasteten sie sich durch den dunklen Flur bis in den grauen Hinterhof hinaus. Seine hohen, moosbedeckten Steinmauern warfen lange Schatten und erschienen dem Mädchen hoffnungslos und erdrückend. Selbst die Grashalme, die zwischen den zerbrochenen Pflastersteinen wuchsen, wirkten gebeugt, als trauerten sie um das verlorene Lachen eines Kindes. Nur der strahlendblaue Himmel, in einem Viereck zwischen den Dächern

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