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Himmel ueber fremdem Land

Himmel ueber fremdem Land

Titel: Himmel ueber fremdem Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Buechle
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Moment bei ihr?«, fragte sie, entsetzt bei der Vorstellung, man könne das kranke Mädchen allein in der düsteren, muffigen Wohnung zurückgelassen haben.
    »Meine Mutter.«
    Demy musste nicht weiter nachfragen, denn aus Lieselotte platzte es heraus: »Sie war einen halben Tag nicht auf der Arbeit, weil Helene krank wurde und Vater nicht da war. Und schon hat dieser Halsabschneider von Arbeitgeber sie rausgeworfen!« Die junge Frau rupfte wütend Grashalme aus der Wiese und warf sie von sich, wobei die leichten Halme, gemessen an der Wut, die sie empfand, viel zu schnell und kraftlos zu Boden fielen.
    »Das ist ja schrecklich. Kann ich irgendwie helfen?«
    »Selbstverständlich. Beklaue deine stinkreiche gnädige Dame und gib mir das Geld, damit besorge ich Medikamente und einen besseren Arzt für Helene.«
    »Lieselotte!« Entsetzt über ihre Wortwahl und über den Vorschlag sprang Demy auf die Füße.
    Auch Lieselotte erhob sich und stemmte wütend die Hände in die Hüften. »Du hast keine Ahnung wie das ist, Hunger zu leiden oder krank zu sein, ohne Aussicht auf Hilfe; hart zu arbeiten ohne die Chance, jemals genug Geld zu haben, um auch nur das Notwendigste zu kaufen, nicht?«
    Demy schwieg und ließ das Mädchen schimpfen. Natürlich hatte Lieselotte recht. Sie kannte diese existenziellen Ängste nicht, wenngleich sie zu Hause in Koudekerke recht bescheiden gelebt hatten. Andererseits wusste Lieselotte nichts von ihrem Leben und ihrem Hintergrund, und empfand ihren Ausbruch daher als nicht gerechtfertigt. Aber vermutlich meinte Lieselotte ohnehin weniger sie selbst als das, was sie oder die Meindorffs verkörperten: Reichtum, Macht und das Bestreben, beides zu vermehren, ohne zu prüfen, auf wessen Kosten dies geschah.
    Lieselotte versank in grüblerisches Schweigen. Eine Gesellschaft älterer Damen hatte sich zwischenzeitlich eilends entfernt, während eine Mutter ihre beiden Kinder besorgt an der Hand nahm und sie vom Teich fort in Richtung Mausoleum führte. Lieselottes Gefühlsausbruch sorgte für Aufsehen.
    »Entschuldige, Demy. Du kannst ja nichts für unsere Misere. Du bist gut untergekommen. Sei froh darüber!«
    Sie war keinesfalls froh über den Umstand, in Berlin gestrandet zu sein, doch schwieg Demy sich darüber aus. Im Vergleich zu den Schefflers ging es ihr tatsächlich ausgesprochen gut. Sie nahm sich fest vor, den Meindorffs und Tilla gegenüber etwas mehr Dankbarkeit an den Tag zu legen.
    »Wir machen das mit dem Unterricht für die Jungen so wie besprochen, ja?« Lieselottes Tonfall und der Blick in ihren grauen Augen war bittend. Fürchtete sie, Demy könnte ihr Angebot nach ihrem Gefühlsausbruch zurückziehen? Demy verstand den Wunsch Lieselottes, dass zumindest ihren Brüdern einmal ein besseres Leben beschieden sei, als es ihre Eltern und sie selbst momentan lebten.
    Demy straffte die Schultern. Sie würde alles in ihrer Macht Stehende tun, um dem munteren Willi und dem schüchternen Peter dies zu ermöglichen! »Versprochen. Ich treffe Willi und Peter morgen Nachmittag hier. Am besten gehe ich sofort zurück und bereite den Unterricht vor.«
    »Wenn ich Arbeit gefunden habe, können wir uns nicht mehr häufig sehen.«
    Demy nickte traurig; sie mochte Lieselotte. Ihre Andersartigkeit, ihre Intelligenz und ihre Ehrlichkeit ebenso wie die Fürsorge, die sie ihren Geschwistern gegenüber an den Tag legte, gefielen ihr. Trotzdem konnte Demy mit ihren aufrührerischen, teilweise unfreundlichen Bemerkungen über diejenigen, denen es gesellschaftlich und finanziell besser ging als ihr und ihrer Familie, wenig anfangen. Lieselottes provozierende Äußerungen verletzten sie manchmal mehr, als sie zugeben wollte, nicht zuletzt, weil sie weder ihre noch die Situation Lieselottes zu ändern vermochte. Vielleicht aber war sie im Kleinen erfolgreich und konnte den beiden Scheffler-Zwillingen eine bessere Zukunft ermöglichen. Und dies allein dadurch, dass sie ihnen Wissen vermittelte, das in den hiesigen Schulen für Arbeiterkinder nicht vorgesehen war.
    Es war diese Aussicht, die Demy mit unbändiger Vorfreude erfüllte, auch wenn sie wusste, dass im Hause Meindorff nie jemand etwas von ihrem Unterricht für Arbeiterkinder aus dem Scheunenviertel erfahren durfte. Mit ihrer Entscheidung nahm Demy weitere Geheimniskrämereien auf sich, obwohl Tilla ihr für ihren Geschmack bereits genug davon aufgebürdet hatte.
    ***
    Zurück an der Grundstücksmauer des Meindorff-Anwesens sah Demy sich prüfend um,

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