Himmel ueber fremdem Land
Abschluss zu erlangen. Meine Vision ist, dass diese beiden einen guten Beruf erlernen, vielleicht sogar studieren und dadurch für andere zu einem Segen werden, denen es nicht gut geht.« Demy holte tief Luft und stieß diese laut aus. Sie hatte sich in Rage geredet, hatte formuliert, was ihr auf dem Herzen lag.
»Es ist nichts Schlechtes daran, ein Schuster, ein Schreiner oder ein Dienstmädchen zu sein«, warf Henny mutig ein.
»Natürlich nicht. Verstehe mich bitte nicht falsch. Aber du weißt bestimmt, wie die Zukunft für die Kinder aus dem Scheunenviertel und anderen schlechten Wohngegenden Berlins ausschaut? Viele von ihnen, auch die Mädchen, werden in Fabriken regelrecht verheizt. Harte Arbeit, lange Arbeitszeiten, wenig Lohn, manches Mal sind sie giftigen Dämpfen ausgesetzt und von einem Augenblick auf den nächsten ersetzbar, da es zu viele ungelernte Arbeiter gibt«, wiederholte Demy, was sie von Lieselotte erfahren hatte. »Ich bin nicht in der Lage, diese Zustände zu ändern. Und auch diese Arbeiten müssen verrichtet werden, das weiß ich wohl. Aber ich will versuchen, zwei Burschen, die ich mag, denen ich nur das Allerbeste wünsche, eine bessere Zukunft zu ermöglichen.« Nervös verknotete Demy ihre Hände ineinander, zugleich entstanden auf ihrer Nase ein paar tiefe Falten. War es ein Fehler gewesen, Henny einzuweihen und sie um ihre Hilfe zu bitten? Mit viel Glück würde das Mädchen schweigen. Was aber, wenn sie in der Dienerschaft zu tratschen begann und schlimmstenfalls etwas bis zu den Meindorffs durchdrang?
Obwohl sie im Schatten einer ausladenden Ulme saß, wurde es Demy unangenehm heiß. Wieder einmal war sie in ihrem Tun zu voreilig, zu abenteuerlustig und zu vertrauensselig gewesen.
»Viele Damen Ihres Standes spenden und arbeiten für wohltätige Zwecke, besuchen Schulen, Waisenhäuser …«
»Henny, es tut mir leid, dass ich dich damit belästigt habe.« Beunruhigt über die Richtung, die das Gespräch genommen hatte, wollte Demy aufspringen, doch eine warme, kräftige Hand auf ihrem Arm hielt sie zurück.
Um Hennys Lippen spielte ein Lächeln, als sie erwiderte: »Meine Mutter hat in einer Fabrik gearbeitet, bis ich die Anstellung bei den Meindorffs fand. Ja, ich weiß Bescheid. Ich begleite Sie also auf Ihre Ausflüge in den Schlosspark. Es wird ein Leichtes sein, Schreibmaterial, vielleicht auch Bücher zu beschaffen, zumal Sie ja über ein kleines Gehalt verfügen, nicht?«
»Oh, Henny, wie großartig!« Begeistert ergriff Demy die Hand auf ihrem Arm und drückte sie fest.
»Darf ich eine Bitte äußern?«
Demys Hochgefühl sackte zusammen wie ein nicht vorschriftsmäßig behandelter Hefeteig. Misstrauisch musterte sie ihr Gegenüber. Bekam sie eine Bedingung gestellt, die für sie unerfüllbar war?
»Meine Familie wohnt unweit des Scheunenviertels. Mein Vater hat eine Schreinerei. Es geht ihnen recht gut, und noch besser, seit ich hier als Dienstmädchen untergekommen bin. Meine siebenjährige Schwester besucht seit letztem Jahr die reguläre Volksschule. Ab Herbst dieses Jahres, das hat der preußische Kultusminister Konrad von Studt vergangenes Jahr erreicht, dürfen auch Frauen studieren. Der Weg dorthin ist umständlicher und länger als bei Männern, aber die Möglichkeit ist gegeben …« Henny legte den Kopf leicht schief und schaute Demy fragend an. »Ich glaube, Wilhelmine könnte es weit bringen. Sie ist ein ganz kluges Kind.«
Erleichterung durchflutete Demy wie die Sonnenstrahlen das Geäst des Baumes, unter dem sie saß. Die Mithilfe von Henny war nicht an eine unerfüllbare Forderung gebunden, sondern sie wollte, dass ihre jüngere Schwester ebenfalls in den Genuss des zusätzlichen Unterrichts gelangte.
»Deine Schwester müsste zum Unterricht in den Schlosspark kommen.«
»Meine Mutter bringt sie sicher gern hin. Ich rede mit ihr.«
»Dann ist das abgemacht.«
Verschwörerisch zwinkerte Demy dem Dienstmädchen zu, bevor die beiden sich die Hände schüttelten.
»Kennst du auch jemanden, der sich mit Krankenpflege auskennt?«, erkundigte Demy sich bei ihrer neuen Vertrauten. »Ich habe nicht viel Geld, aber vielleicht reicht es, um ein krankes Mädchen pflegen zu lassen.«
»Maria weiß eine Menge über Krankheiten und Medizin. Ihr verstorbener Mann war Arzt.«
Demy wiegte zweifelnd den Kopf. Ob sie es wagen konnte, die Haushälterin zu bitten, sie in das Scheunenviertel zu begleiten?
»Geht es um einen Ihrer Schützlinge?« Hennys Frage klang
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