Himmel ueber fremdem Land
bevor sie sich Demy zuwandte.
Die braunen Augen sahen sie intensiv an, aber Demy verspürte dabei nicht das unangenehme Gefühl, abschätzig gemustert zu werden. In Margaretes Blick lag aufrichtiges Interesse und die unübersehbare Freude darüber, eine neue Bekanntschaft zu schließen.
»Herzlich willkommen in unserer Runde, Fräulein van Campen. Ich hatte ja auf der Hochzeitsfeier bereits das Vergnügen, Ihnen vorgestellt zu werden. Leider fand sich dort keine Gelegenheit für ein Gespräch. Letzte Woche nun war Frau Cronberg so freundlich und erzählte uns ein wenig mehr von Ihnen. Sofort stimmten wir darin überein, Ihnen durch eine Einladung in unseren Literaturzirkel das Einleben in unserer schönen, aufregenden Stadt zu erleichtern. Wir sind ein überschaubarer Kreis von fünf, sechs Frauen.«
Demy war überwältigt von so viel Liebenswürdigkeit, die ihr entgegengebracht wurde, obwohl diese Frauen sie gar nicht kannten. Das Kind in ihr sehnte sich danach, dieses Freundschaftsangebot begierig anzunehmen, doch die junge Frau, die zu werden sie im Begriff war, ermahnte sie zur Zurückhaltung.
»Ich freue mich wirklich sehr über Ihre freundlichen Worte, Fräulein Pfister. Herzlichen Dank für die Einladung, der ich sehr gern gefolgt bin.«
Aus dem Augenwinkel bemerkte Demy das knappe Lächeln von Henriette und schloss daraus, dass sie angemessen reagiert hatte. Etwas von der angestauten Anspannung fiel von ihr ab.
»Setzen Sie sich doch bitte. Wir haben letzte Woche mit der Lektüre von Jane Austens Pride and Prejudice begonnen.« Margarete nahm das bereitgelegte Buch in die Hände, blätterte es auf und begann mit glockenheller Stimme den englischsprachigen Text vorzulesen.
Unterdessen bemühte Demy sich um eine korrekte Haltung in dem mit rotglänzendem Chintz überzogenen Sessel und anmutig nebeneinandergestellte Beine. Auf Tee und Gebäck, von einem Dienstmädchen serviert, verzichtete sie allerdings. Es war Herausforderung genug, auf ihre Haltung zu achten und der Lektüre zu lauschen.
Zehn Minuten nachdem Margarete das Buch an Adele weitergereicht hatte, erschien eine vierte Dame in einem frühlingshaften legeren Reformkleid. Sie wurde ihr als Lina Barna vorgestellt, die 16-jährige Tochter eines Physikprofessors, deren Mutter vor einigen Jahren verstorben war. Allein schon aufgrund dieser Gemeinsamkeit fühlte Demy sich zu der unbekümmert wirkenden Lina hingezogen.
Adele las weit weniger flüssig als Margarete, und ihre schrille Stimme machte es Demy noch schwerer, sich auf den Dialog zwischen Mr Darcy und Elizabeth zu konzentrieren. Bald gingen ihre Augen und ihre Gedanken auf Wanderschaft.
Hinter dem mit Gemälden, Skulpturen und Gobelins überladenen Raum steckte offensichtlich viel Geld, und ein Blick auf das prächtige, mit Rüschen besetzte Ensemble der Gastgeberin verstärkte diesen Eindruck noch. Auch Lina war für ein geselliges Treffen am Nachmittag trotz des hängenden Reformkleides überaus elegant gekleidet, was bewies, dass Henriette, selbst dezent in Dunkelbraun, ihren jungen Schützling nicht grundlos in das teure Kleid gezwungen hatte. Selbst die unattraktive Adele trug neben ihrem ausfallend voluminösen Hut ein aufwendig mit Spitze und Tüll verziertes eng anliegendes Kleid, dessen dunkles Violett sie allerdings älter wirken ließ, als sie war.
Demy musste ihre bisherige Vermutung revidieren, dass nur in den Adelshäusern Preußens Geld vorhanden war. Offensichtlich gab es in dieser Stadt Fabrikanten und andere gut gestellte Bürger, die zwar mit weniger Pomp und Pracht, dafür aber mit mehr Vermögen ausgestattet waren als so manches Adelshaus.
Die Reihe war an Henriette, die Lektüre zu übernehmen. Die Gouvernante las flüssig, wenn auch mit etwas harter Aussprache, und reichte das Buch schließlich an Lina weiter, die fröhlich über die ihr unbekannten Worte hinweghüpfte und die Runde damit mehrmals zum Lachen brachte.
Demy, deren Englisch im Gegensatz zu ihrem Französisch nahezu perfekt war, bekam das Buch ebenfalls zum Vorlesen gereicht. Nach einem anschließenden Austausch über das Gelesene und Margaretes Bitte an Henriette Cronberg als die älteste Anwesende, die kleine Gesellschaft mit einem Gebet um Schutz für den Heimweg abzuschließen, verabschiedete sich Adele, die von ihrer Mutter abgeholt wurde.
Während Henriette noch der kleinen Charlotte Pfister, Margaretes 10-jähriger Schwester, einen Besuch abstattete, blieben Demy, Lina und Margarete im Salon
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