Himmel ueber fremdem Land
ihm bedeutete, wie stark ihm ihre Gegenwart, ihre Gespräche, ihr fröhliches Lachen und der eindringliche Blick aus ihren dunklen Augen fehlte. Aus einer anfänglichen Unruhe war eine tiefe Sehnsucht nach ihr geworden, und während der Schiffsreise zurück auf den Schwarzen Kontinent ein fast körperlich spürbarer Schmerz.
Der heisere Schrei eines über dem Kinderheim seine Kreise ziehenden Schwarzen Milans ließ nicht nur die im Garten arbeitenden Kinder, sondern auch Philippe den Kopf heben. Hoch am wolkenlosen blauen Himmel breitete das Tier seine weiten Schwingen aus und glitt im Aufwind mühelos dahin, unberührt von den Sehnsüchten und Wünschen der Menschen.
Fasziniert beobachtete Philippe, wie der Raubvogel unter minimaler Veränderung seiner Flügel- und Schwanzstellung eine zweite Kurvenbahn einleitete, und sofort wanderten seine Gedanken zu den Flugzeugen, die er zu Gesicht bekommen hatte.
»Philippe?«
Udakos Stimme riss ihn in die Gegenwart zurück – in ihre Gegenwart! Ein glückliches Lächeln breitete sich auf seinem jetzt bärtigen Gesicht aus. Die Frau, der die ganze Liebe seines einst getriebenen Herzens galt, stand in der Tür des Hauptgebäudes. Sie hielt einen schmächtigen Jungen an der Hand, und in ihrem Gesicht mit dem für die Nama typischen beinahe schwarzen Hautton mit rötlichem Einschlag spiegelte sich die Freude über seinen Anblick.
Der Wind brachte ihre leichte Bluse zum Flattern und darunter zeichnete sich ihr perfekt geformter Körper ab. Udako und er sahen sich lange in die Augen. Die Anwesenheit der Kinder war vergessen, ihre Stimmen nahm Philippe kaum mehr wahr. Nichts war wichtig außer Udako. Spürte auch sie diese innige Verbundenheit zwischen ihnen? Ein Gefühl der Nähe, das ihn nicht einmal in weiter Ferne verlassen hatte? Ob sie ihm ansah, wie sehr es ihn danach drängte, sie in die Arme zu ziehen, ihr Gesicht mit seinen Lippen zu liebkosen und sie niemals wieder loszulassen?
Udako senkte den Blick, doch die beinahe magnetische Anziehung, die Philippe empfand, blieb bestehen. Die junge Frau ging in die Hocke, sagte etwas zu dem Kind, und der Kleine drehte sich um und zwängte sich durch einen winzigen Türspalt zurück ins Haupthaus.
Beinahe zögerlich kam sie ihm entgegen und blieb in einigem Abstand stehen. Ihre Zurückhaltung ließ Philippe stutzen. Irgendetwas an ihr erschien ihm verändert. Bei ihrem Abschied hatte sie sich in seine Arme gestürzt und ihn unter Tränen gebeten, nach Windhuk zurückzukehren. Nun wirkte sie gehemmt, reserviert. Sein Hochgefühl stürzte in sich zusammen wie ein Kartenhaus.
Mit einer Geste bat sie ihn, ein Stück mit ihr hinaus in die jenseits der Missionsstation beginnende Ebene zu gehen, wobei sie sich bereits abwandte, noch bevor er etwas sagen konnte.
Sie ging hinter seinem Pferd vorbei in einen in die rote Erde gestampften Fußpfad und verließ das mit Dornenhecken umfasste Gelände der Missionsstation. Hinter niedrigen, karstigen Hügeln öffnete sich eine weite, lichtdurchflutete Ebene, abgegrenzt durch die von der Sonne hell beschienenen Auasberge. Hier draußen fegte der Wind deutlich stärker über das Land, wirbelte rote Erde auf und rauschte durch den niedrigen, dürren Pflanzenbewuchs und die wenigen Bäume.
Philippe holte die Frau mit ein paar großen Schritten ein und wechselte seinen Hut mit der einseitig aufgesteckten Krempe in die linke Hand, nur für den Fall, dass sie gewillt sein könnte, seine Hand zu ergreifen. In ihm jedenfalls strebte jede Faser nach einer Berührung von Udako.
»Es gibt also tatsächlich Deutsche, die ihre Versprechen einhalten.« Aus den Augenwinkeln sah Udako ihn an, und er grinste. Zumindest war die Vertrautheit zwischen ihnen noch groß genug, dass sie es wagte, eine kritische Bemerkung bezüglich der Kaiserlichen Schutztruppe abzugeben. Endlich einmal wieder ihrem eigenwilligen Deutsch zu lauschen entlockte ihm ein wohliges Seufzen.
»Geht es dir gut, Udako?«
»Mir ging es niemals besser. Und genau das ist der Grund, weshalb ich dringend mit dir sprechen muss.«
»Ich weiß es: du hast dich in den alten Missionar verliebt und …«
»Deine Witze waren schon scharfsinniger.«
»Entschuldige.«
Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, doch schnell wandte sie sich in Richtung des entfernten Gebirgszuges ab. »In den letzten Wochen hat sich mein Leben grundlegend verändert.«
»Sicher, ich war ja nicht da …«
Eine Handbewegung von ihr unterbrach Philippes spöttische
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